Die schwarz-gelbe Regierung verspricht 24 Milliarden Euro Steuerentlastung jährlich. Das ist nur über höhere Schulden möglich.

Hamburg. Mehr Netto vom Brutto soll der Bürger künftig haben. Das ist eine der zentralen Forderungen der Liberalen. Bis zuletzt haben Union und FDP um Ziele und Zahlen gerungen. Jetzt steht das Ziel fest: Es soll während der kommenden vier Jahre insgesamt steuerliche Entlastungen von 24 Milliarden Euro jährlich geben. Zusammen mit dem Hamburger Professor für Betriebswirtschaftslehre, Karl-Werner Hansmann, analysiert das Hamburger Abendblatt, wer mit den Regelungen aus dem Koalitionsvertrag belastet und wer entlastet wird.

E inkommenssteuer: Um die Entlastungen von 24 Milliarden Euro erreichen zu können, verspricht Schwarz-Gelb steuerliche Entlastungen "insbesondere für untere und mittlere Einkommensbereiche". Dazu zählt auch die Erhöhung des Kinderfreibetrags auf 7008 Euro vom kommenden Januar an und die Erhöhung des Kindergelds um 20 Euro auf 184 Euro. Außerdem soll der Einkommenssteuertarif zum 1. Januar 2011 zu einem Stufentarif umgebaut werden. Die Zahl der Stufen ist noch offen. Das erinnert an den ehemaligen CDU-Finanzexperten Friedrich Merz, der ein einfacheres Stufensystem anstrebte, das auf einen Bierdeckel passt. Das heißt, bis zu einem bestimmten Einkommen könnten zehn Prozent Steuern gezahlt werden, danach 20 und dann 35 Prozent. Wer dann kurz vor einem Stufenwechsel liegt, profitiert, wer aber kurz dahinter liegt, wird stärker belastet, so Wirtschaftsprofessor Hansmann. Er hält das Volumen, das sich die Koalition an Entlastungen vorgenommen hat, für "nicht zu verantworten". Bereits vom 1. Januar 2010 an wird es eine von der Großen Koalition beschlossene steuerliche Entlastung von insgesamt 14 Milliarden Euro jährlich geben. Zusammen mit den geplanten 24 Milliarden Euro sind das von 2011 an 38 Milliarden Euro jährlich. Der Bund muss bis 2013 ohnehin infolge der Wirtschaftskrise insgesamt 310 Milliarden Euro neue Schulden aufnehmen. Auch die neu angekündigte Steuerentlastung kann nur über zusätzliche Schulden gedeckt werden. "Die neue Koalition sagt, dass der Marsch in den Schuldenstaat gestoppt werden soll. Doch gerade das geschieht nicht", sagt Hansmann. Zunächst werde der Bürger entlastet, aber als Steuerzahler muss er irgendwann die gewaltige Tilgung und Zinsen zahlen. Das wird die kommenden Generationen belasten.

Erbschaftssteuer: Die Steuerbelastung für Geschwister und deren Kinder soll durch einen Steuertarif (15 bis 43 Prozent) gesenkt werden. Nach Hansmanns Einschätzung ist das eine Erleichterung für nähere Verwandte. Belastet wird damit wieder der Steuerzahler.

Umsatzsteuer: Die CSU setzte in den Verhandlungen durch, dass vom 1. Januar 2010 an der Mehrwertsteuersatz im Hotel- und Gastronomiegewerbe von 19 auf sieben Prozent gesenkt wird. Wenn die Wirte und Hoteliers tatsächlich auch die Preise senken, entlastet diese Regelung alle ihre Kunden. Wie lange, ist allerdings unklar. Ermäßigte Mehrwertsteuersätze gelten auch etwa beim Kauf von Büchern. Diese Regelungen "gehören auf den Prüfstand", heißt es in dem Koalitionsvertrag. Damit soll sich eine Kommission beschäftigen.

Haushalt: Krisenbedingt rechnet die neue Bundesregierung mit Einnahmeausfällen bei der Arbeitslosen- und Krankenversicherung, die sie über Steuergelder ausgleichen will. Um aber die Beiträge so lange wie möglich stabil zu halten, "spannen wir einen Schirm zum Schutz der Arbeitnehmer in der Krise" auf. Dahinter verbirgt sich der Sonderfonds von Steuergeldern. "Das belastet den Steuerzahler und entlastet die abhängig Beschäftigen, die sonst höhere Beiträge bezahlen müssten", sagt Hansmann. Er begrüßt die soziale Komponente: Gesunde und Beschäftigte treten für die Arbeitslosen und Kranken ein.

Arbeitsmarkt: CDU, CSU und FDP bekennen sich zur Tarifautonomie. Ein "einheitlicher gesetzlicher Mindestlohn" wird ganz im Sinne der FDP abgelehnt. Die ausgewählten Branchen, in denen er bereits gilt, werden aber bis Oktober 2011 überprüft. Nicht verändert wird der Kündigungsschutz, den die FDP einschränken wollte. Eine wirkliche Entlastung gibt es für die älteren Arbeitslosen, die Hartz IV erhalten und es schwer haben, Arbeit zu finden. Hartz-IV-Empfänger sollen von ihrer angesparten Altersvorsorge 750 Euro pro Lebensjahr, dreimal so viel wie bisher, behalten dürfen. Erst dann muss der Rest für den Lebensunterhalt genutzt werden.

Familie: Neben der Erhöhung des Kinderfreibetrags auf 7008 Euro, der vor allem die Besserverdienenden entlastet, profitieren die Geringverdiener von der Erhöhung des Kindergelds um 20 Euro. Das ist nach Ansicht von Hansmann ein deutliches Signal des Staates, dass Familien und Kinder wichtig sind. Für überflüssig und rückwärtsgewandt hält er die "Herdprämie", ein Betreuungsgeld von 150 Euro monatlich ab 2013 für Kinder unter drei Jahren, wenn sie zu Hause betreut werden. Darauf hatte die CSU bestanden. Das Geld kann auch als Betreuungsgutschein ausgegeben werden, denn von 2013 an gilt ein Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz. Die Gefahr besteht, dass Kinder von Geringverdienern und Migranten, die die sozialen Kontakte brauchen, zu Hause bleiben, weil die Eltern das Geld nehmen.

Gesundheit/Pflege: In diesen Bereichen steht ein Systemwechsel ab 2011 bevor. Bei der Krankenversicherung ist ein "einkommensunabhängiger Arbeitnehmerbeitrag" (Kopfpauschale) geplant, und der Arbeitgeberanteil wird eingefroren. Kostensteigerungen trägt damit allein der Arbeitnehmer. Das ist die Abkehr von der zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern paritätisch finanzierten Versicherung. Wer mehr als eine Grundversorgung bei einem Arztbesuch will, wird sich zusätzlich versichern müssen. Das Gleiche gilt für die Pflegeversicherung. Dort bleibt zwar alles recht vage und ein Einfrieren des Arbeitgeberanteils ist nicht ausdrücklich erwähnt. Es heißt aber: "Daher brauchen wir neben dem bestehenden Umlageverfahren eine Ergänzung durch eine Kapitaldeckung, die verpflichtend, individualisiert und generationengerecht ausgestaltet sein muss." Auch das bedeutet eigene Zusatzversicherungen. Belastet werden damit alle Arbeitnehmer, vor allem die Geringverdienenden. Entlastet werden die Arbeitgeber.