Der neue Chef der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE), Michael Vassiliadis (45), fordert eine Neuausrichtung der Energiepolitik in Deutschland.

Hannover/Hamburg. "Wir brauchen einen neuen Energiekonsens, der langfristig die Weichen stellt für eine ausgewogene, sichere, preisgünstige und umweltverträgliche Versorgung. Darüber sollten Regierung, betroffene Unternehmen, gesellschaftliche Gruppen und Gewerkschaften gemeinsam beraten", sagte Vassiliadis kurz nach seiner Wahl dem Abendblatt.

Die IG BCE galt schon unter seinem Vorgänger Hubertus Schmoldt als unbequem beim Thema Energie. Schmoldt machte sich dafür stark, die Laufzeiten der Atomkraftwerke zu überdenken. Vassiliadis ist wie Schmoldt SPD-Mitglied. Auch unter seiner Leitung scheint der diplomatische Kurs der drittgrößten deutschen Gewerkschaft (690 000 Mitglieder) nach IG Metall (2,3 Millionen) und Ver.di (2,2 Millionen) weiterzugehen.

Die schrillen Töne liegen Vassiliadis ebenso fern. "Arbeitsplätze zu sichern und Arbeitslosigkeit zu bekämpfen sind unsere wichtigsten politischen Ziele. Zauberformeln gibt es nicht", sagte der neue Gewerkschaftsboss dem Abendblatt. Es gehe auch in der Krise darum, mehr Ausbildungsplätze zu schaffen. "Wir müssen zugleich das Problem der Übernahme entschärfen. Es macht keinen Sinn, gut ausgebildete junge Menschen auf die Straße zu schicken."

Deutlich wandte sich Vassiliadis gegen eine Aufweichung der Mitbestimmung. "Offenbar gibt es in Berlin Bestrebungen, die Mitbestimmung von Arbeitnehmern, Betriebsräten und ihren Gewerkschaften einzuschränken. Wir erwarten von der Bundeskanzlerin eine klare Aussage, sie wird ja am Mittwoch auf unserem Kongress sprechen. Wir erwarten, dass Arbeitnehmerrechte nicht angetastet werden."

Vorgänger Schmoldt warnte die neue Regierung unter Angela Merkel (CDU) vor Übermut in der Arbeits- und Sozialpolitik: "Frau Merkel muss bei ihrer Aussage ,Arbeit für alle' bleiben, sonst ist der Konflikt programmiert." Außerdem sprach sich Schmoldt für einen starken Dachverband DGB aus, der eher als Arbeitnehmerbewegung denn als Bürgerbewegung auftreten sollte.

Die Lage in der Automobilindustrie sieht Vassiliadis als weiterhin kritisch. Chemische Produkte finden sich zuhauf in Autos: im Kunststoff, in den Reifen, im Glas. Der IG- BCE-Chef sieht vor allem in deutschen Schlüsseltechnologien einen Stau an Entscheidungen, die jetzt fallen müssten.

Gewählt wurde der neue Mann an der Spitze mit 334 von 349 Stimmen. Vassiliadis gehört dem geschäftsführenden Vorstand seit 2004 an und war dort unter anderem für Jugend und Bildung zuständig. Die Gewerkschaften, sagte er in Hannover, müssten über den Tag hinaus denken. "Wir müssen unsere Verantwortung für die großen Zukunftsthemen wahrnehmen." Dazu zählten die Innovationsfähigkeit der Industrie, Klimaschutz, demografischer Wandel, Bildung und die Zukunft des Sozialstaats.