Hunger, Krieg, Ausbeutung: Viele Entwicklungsländer drohen eine ganze Generation und ihre Zukunft zu verlieren.

Hamburg. Mit einer Kindheit voller Liebe könne man ein halbes Leben lang in der kalten Welt auskommen, hat der deutsche Schriftsteller Jean Paul einmal gesagt. Ein Mann, der ohne Vater und in bitterer Armut aufwuchs. Heute, 200 Jahre später, müssen sich Millionen von Kindern einer kalten Welt stellen: Millionen Mädchen und Jungen sind Opfer von Gewalt, Ausbeutung oder Menschenhandel. Diese bedrückenden Fakten nennt das Kinderhilfswerk Unicef in seiner ersten globalen Bestandsaufnahme zu Kinderrechts-Verletzungen.

Danach müssen 150 Millionen Kinder zwischen fünf und 15 Jahren hart arbeiten und können deshalb kaum oder gar nicht zur Schule gehen. Mindestens eine Million Kinder sitzen weltweit in Gefängnissen, mehr als die Hälfte von ihnen ohne Gerichtsverfahren. Die große Mehrheit dieser Kinder hat keine schweren Verbrechen begangen. Mehr als 18 Millionen Kinder wachsen nach Unicef-Angaben in Familien auf, die aufgrund von Kriegen oder Naturkatastrophen aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Jugendliche in Konflikt- oder Kriegsregionen litten vor allem unter Armut, Unterernährung, mangelnder ärztlicher Versorgung und fehlenden Bildungsmöglichkeiten.

Nach Schätzungen kamen 51 Millionen Kinder allein 2007 zur Welt, ohne dass ihre Geburt registriert wurde. Im südlichen Afrika würden zwei Drittel nicht registriert. Ohne Geburtsurkunde hätten Kinder kaum Aussichten auf einen Platz in der Schule und seien krimineller Ausbeutung schutzlos ausgeliefert, mahnt das Kinderhilfswerk. In dem Bericht wird zudem eine hohe Dunkelziffer von Gewalt gegen Kinder beklagt. Zwischen 500 Millionen und 1,5 Milliarden Kinder seien jährlich schweren körperlichen Züchtigungen ausgesetzt.

Besonders düster ist die Situation für Mädchen. In mindestens 29 Ländern der Erde sind sie durch die gesundheits- und lebensgefährliche Tradition der Genitalverstümmelung bedroht. In den Entwicklungsländern wird nach diesen Angaben jedes dritte Mädchen als Kind verheiratet. In den Ländern Niger, Tschad und Mali liege der Anteil der Kinderheiraten sogar bei mehr als 70 Prozent. In Bangladesch, Guinea und der Zentralafrikanischen Republik seien es 60 Prozent.

Vor allem in zwei Bereichen nennt der Report auch Fortschritte beim Kinderschutz. In vielen afrikanischen Ländern sinke erfreulicherweise der Anteil der Mädchen, die an ihren Genitalien beschnitten werden. Zudem sei das Heiratsalter in Ländern wie Bangladesch, wo Kinderheiraten weit verbreitet sind, leicht gestiegen.

"Unser Anliegen war es, einmal eine Gesamtschau zu der Verletzung von Kinderrechten weltweit zu bieten", sagte Helga Kuhn, Sprecherin von Unicef Deutschland, dem Hamburger Abendblatt. Die Bilanz dieser Gesamtschau sei "erschreckend", auch wenn die Zahlen aus den einzelnen Bereichen zum Teil bekannt gewesen seien. In anderen Bereichen allerdings gebe es noch viel zu wenige Daten. Insgesamt müsse aus dem Report der dringende Aufruf abgeleitet werden, weltweit gegen Kinderrechtsverletzungen vorzugehen. Der Bericht zum Kinderschutz, der Daten aus fast allen Teilen der Erde zusammenträgt, nennt als eine Handlungsanleitung acht Schwerpunkte, darunter bessere Schutzmaßnahmen für Kinder bei Katastrophen, breite Bündnisse zwischen Regierungen sowie bessere Datenerhebungen.

Eine Gesellschaft könne sich nicht entwickeln, wenn ihre jüngsten Mitglieder grundlegender Rechte beraubt würden, sagte Unicef-Direktorin Ann Veneman. Der Report des Hilfswerks sei ein erster Schritt, "um eine Umgebung für Kinder zu schaffen, in der sie geschützt aufwachsen und sich entwickeln dürfen".