Im bürgerlichen Lager hat die CDU/CSU 1,1 Millionen Stimmen an die FDP abgegeben. SPD-Wähler wandten sich allen anderen Parteien zu, vor allem die unter 30-Jährigen.

Hamburg. Am Tag danach wird gezählt, sortiert, analysiert. Die kleinen Gewinner, die großen Verlierer, die fatalen Fehler der Politiker, der Mut oder die Furcht des Wählers - die Meinungsforschungsinstitute fassen es zusammen. Gestern präsentierten die vier führenden Institute in Berlin ihre Ergebnisse zur Bundestagswahl 2009. "Es hat sich gezeigt, dass die Weisheit des Wählers am Ende obsiegt", sagte Richard Hilmer, Geschäftsführer von Infratest dimap. Der Wechsel von einer Großen Koalition zu Schwarz-Gelb sei die "zweite Etappe des Regierungswechsels", zu dem dem Wähler vor vier Jahren noch der Mut gefehlt habe. Zur Ablösung von Rot-Grün gab es laut Hilmer die Große Koalition als Zwischenschritt. Jetzt aber habe der Wähler laut Emnid-Chef Klaus-Peter Schöppner mit der Mehrheit für Union und FDP entschieden: "Runter vom Sofa."

Gewinner

Nicht die meisten Stimmen, aber die meisten Stimmenzuwächse bekamen die kleinen Parteien: Die FDP erhielt mit 14,6 Prozent ein Plus von 4,7 Prozentpunkten, die Linke mit 11,9 Prozent ein Plus von 3,2 Prozentpunkten und die Grünen mit 10,7 Prozent ein Plus von 2,6 Prozentpunkten. Das sind "ausnahmslos Rekordergebnisse", wie die Forschungsgruppe Wahlen feststellt. In der Summe sind die drei "Kleinen" so stark wie nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik. Als Grund für den Zulauf stehen die klaren Aussagen der kleinen Parteien gegenüber der Konturenlosigkeit der großen Parteien.

Verlierer

Die Union und die SPD erzielten beide ihr schlechtestes Ergebnis bei einer Bundestagswahl. Die Verluste der Union mit einem Minus von 1,4 Prozentpunkten auf 33,8 Prozent sind jedoch im Gegensatz zur SPD gering. Die Sozialdemokraten verlieren 11,2 Prozentpunkte und fallen auf 23 Prozent. Forsa-Chef Manfred Güllner macht dafür die fehlende Machtoption und die fehlenden mobilisierenden Themen der SPD verantwortlich. Allensbach-Chefin Renate Köcher spricht von einem "langen Prozess der Auszehrung der SPD in der Regierungsverantwortung". Vor schlimmeren Verlusten bewahrte die Union die Beliebtheit von Kanzlerin Angela Merkel, die letztlich neben der Leistungsbilanz und dem Ansehen der Partei auch zum Wahlsieg der Union führte.

Kanzlerfrage

Angela Merkel genießt nach der Analyse der Forschungsgruppe Wahlen mit positiven Bewertungen in allen politischen Lagern das höchste Ansehen eines Kanzlerkandidaten bei einer Bundestagswahl seit 1990. Basis dafür sei ihre "ausgezeichnete Leistungsbilanz". 78 Prozent der Befragten bescheinigen ihr eine eher gute, nur 18 Prozent eine eher schlechte Arbeit. Die Kanzlerin galt in Details als glaubwürdiger, sympathischer und durchsetzungsfähiger als der SPD-Kandidat Frank-Walter Steinmeier. So wollten 56 Prozent Merkel als Kanzlerin und nur 33 Prozent Steinmeier in dem Amt sehen.

Wählerwanderung

"Die Wähler nutzen ihr Stimmen recht taktisch", sagt Richard Hilmer. Das heißt, dass sich die Wähler im bürgerlichen Lager vor allem von der Union zur FDP bewegten. Mit ihrem präsidialen Wahlkampf habe Kanzlerin Merkel zwar Wählerinnen hinzugewonnen, aber die Männer und vor allem die Wirtschaftsliberalen an die FDP abgegeben. Insgesamt waren es laut Infratest dimap 1,1 Millionen. Je 70 000 wechselten demnach von der Union zu den Linken und Grünen. 620 000 kamen von der SPD zur Union. Die SPD-Wähler trieb es durchaus zu beiden Seiten weg. Mehr noch als zur Union zu den Linken mit 780 000 und den Grünen mit 710 000. Zu den Liberalen gingen 430 000 SPD-Wähler. Die Union hat auch mehr als zwei Drittel aller Wahlkreise nach den Zweitstimmen gewonnen. In 218 von 299 Wahlkreisen konnten CDU und CSU die Mehrheit auf sich vereinen, wie Bundeswahlleiter Roderich Egeler gestern mitteilte. Die SPD setzte sich in 64 Wahlkreisen durch. Die Linken erhielten in 16 Wahlkreisen die meisten Zweitstimmen.

Parteikompetenz

Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, noch immer das größte Problem für die Deutschen, trauen die Wähler der Union nur noch zu 29 Prozent zu. Bei der vergangenen Wahl waren es noch 41 Prozent. 21 Prozent nennen dafür unverändert die SPD. Wirtschaftspolitisch sehen 34 Prozent die besten Konzepte bei der Union, 15 Prozent bei der SPD. Kompetenz einbüßen muss die Union laut Forschungsgruppe Wahlen in den Bereichen Steuern und Bildung. Der Zuspruch, den Die Linke bekam, war am höchsten für ihre Sozialpolitik und die Ost-West-Frage. Die Grünen konnten im Bereich Familie und die FDP bei Steuern punkten.

Ältere Wähler

Vor allem die über 60-Jährigen haben der Union zum Wahlsieg verholfen. In dieser Altersgruppe gaben 42 Prozent ihre Stimme der CDU/CSU. Das ist der höchste Wert aller Altersgruppen. 28 Prozent der über 60-Jährigen wählten SPD und stellen damit bei ihr ebenfalls die größte Gruppe. Bei den Liberalen (12 Prozent), den Linken (10) und den Grünen (6) sind die über 60-Jährigen die kleinste Gruppe der Wähler.

Jungwähler

Die unter 30-Jährigen sind die kleinste Wählergruppe der Union (27 Prozent) und der SPD (16 Prozent). In dem Bereich hat sich die Wählerschaft der SPD mehr als halbiert. Sie liegt damit knapp unter der Gruppe der jungen Wähler (17 Prozent), die für die FDP stimmten. Für die Liberalen ist dies die stärkste Altersgruppe, ebenso wie für die Grünen (14 Prozent). Die Linken wurden am häufigsten von den 45- bis 59-Jährigen (14 Prozent) gewählt.

Wahlbeteiligung

Die Wahlbeteiligung ist auf einem Rekordtief von 70,8 Prozent gelandet. Die Wahlforscher sehen die Gründe in der Themenarmut und der Nicht-Polarisierung. Darunter litt vor allem die SPD. Nach einer Analyse von Schöppner blieben zwei Millionen SPD-Wähler zu Hause.