Renate Künast und Jürgen Trittin freuen sich über “10 plus x“, konnten Schwarz-Gelb aber nicht verhindern.

Hamburg/Berlin. Wie verhält man sich, wenn man zwei seiner erklärten Ziele klar verfehlt hat und trotzdem einen historischen Erfolg feiern kann? Man geht nach dem Spiel auf die Bühne und lässt sich feiern. Als Renate Künast und Jürgen Trittin gestern im Berliner Postbahnhof um 18.25 Uhr vor ihre Anhänger traten, brandete spontan Jubel auf. Etwas ungelenk griff die grüne Parteichefin nach dem rechten Arm ihres Kollegen, um ihn irgendwie in die Höhe zu ziehen. Das klappte nicht so richtig, und diese eher unbeholfene Geste hatte in diesem Moment durchaus auch etwas Symbolisches.

"Wir haben heute das beste Ergebnis erzielt, das die Grünen jemals bei einer Bundestagswahl erreicht haben", rief Künast. "Wir sind von den Bürgern zweistellig in den deutschen Bundestag gewählt worden, und wir werden diesen Auftrag annehmen."

In allen Hochrechnungen lagen die Grünen von Beginn an bei mehr als zehn Prozent - 10,2 hatten sie im ZDF, bis zu 10,6 in der ARD. Künast sprach von einem "Arbeitsauftrag", es gehe nun darum, Verbündete zu suchen, um zum Beispiel eine Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke zu verhindern.

Bedenkt man, woher die Grünen kommen, ist der Jubel mehr als verständlich. 5,6 Prozent waren es im Jahr 1983 - innerhalb eines Vierteljahrhunderts konnte die Partei ihren Stimmenanteil also nahezu verdoppeln. Und auch im Vergleich zur letzten Bundestagswahl konnten noch einmal rund zwei Prozent mehr Wähler mobilisiert werden, ihr Kreuzchen bei den Grünen zu machen. Oder, wie Jürgen Trittin flugs ausrechnete: "Wir haben 25 Prozent an Wählern gewonnen."

Und dennoch hatte der grüne Jubel des gestrigen Abends immer auch ein "Ja, aber". Sozusagen einen vorweggenommen Kater. Weil es, nach Platz vier bei der Wahl 2005, nicht gelungen ist, diesmal drittstärkste Partei zu werden und man hinter der FDP und den Linken sogar auf Platz fünf zurückgefallen ist. Und vor allem weil es nicht gelungen ist, eine schwarz-gelbe Koalition zu verhindern.

Da konnte Trittin bei seinen Wahlkampfauftritten im Lande noch so vehement darauf hinweisen, dass "Schwarz-Gelb ja nicht umsonst die Warnfarben der Atomindustrie sind". Am Ende blieb nur die Erkenntnis, sich zukünftig in Berlin weiterhin auf den Oppositionsbänken niederlassen zu müssen.

"Dass wir Schwarz-Gelb nicht verhindert haben, ist heute Abend das weinende Auge", sagte Grünen-Politikerin Claudia Roth. Und ihr Parteikollege Fritz Kuhn analysierte, dass die kleinen Parteien mittlerweile "mittelgroß" sind und die "Zeit der großen Volksparteien zu Ende geht".

Das war auch der Hauptgrund, den Trittin für den aus grüner Sicht schlussendlich unbefriedigenden Ausgang der Bundestagswahl ausmachte. "Selbst unser Rekordgewinn konnte den Rekordverlust der SPD nicht ausgleichen, selbst Super-Grüne konnte das SPD-Desaster nicht kompensieren."

Der Berliner Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann zeigte sich "sehr erfreut, das ist für uns ein großartiges Ergebnis". Eine Diskussion um das Grünen-Spitzenteam Renate Künast und Jürgen Trittin wird es wohl nicht geben. Die Grünen, so Ratzmann, "müssten sich in diesem Fünf-Parteien-System künftig aber offener gegenüber neuen Koalitionen zeigen". Ratzmann: "Die Ausschließeritis muss ein Ende haben."