In fast 40 Staaten hat die “Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ (OSZE) bereits Parlamentswahlen beobachtet - aber noch nie zuvor in Deutschland. In diesem Jahr gibt es in dieser Hinsicht eine Premiere.

Hamburg. Innenminister Wolfgang Schäuble hat Beobachter der OSZE eingeladen, um ihre Einschätzung der Bundestagswahl zu treffen. Ein Dutzend Experten sind es insgesamt; zwei von ihnen sind derzeit in Norddeutschland unterwegs: Der Mazedonier Aleksandar Novakoski ist in seiner Heimat so etwas wie der Bundeswahlleiter, Wahlexperte Samad Mukhamedov aus Usbekistan ist von Beruf Anwalt und Spezialist für vergleichendes internationales Recht. Begleitet von der Nationalen Assistentin Kerstin Dokter aus Deutschland, besuchten sie gestern die Redaktion des Hamburger Abendblatts. Die Medien sind einer der Ansprechpartner der Mission - neben Kandidaten, Wahlleitern oder Vertretern von Behörden, Parteien oder Verbänden.

"Wir lernen, wie das deutsche Wahlsystem funktioniert, machen gegebenenfalls Verbesserungsvorschläge und heben anderes vielleicht als modellhaft hervor", sagte Mukhamedov. Bei ihrer "Assessment"- (Einschätzungs-)Mission zur Bundestagswahl reisen Gruppen von OSZE-Beobachtern im ganzen Land herum. "Dies ist ein Unterschied zu einer echten Wahlbeobachtung, bei der Hunderte Experten wochenlang im Land anwesend sind", sagte Dokter. Untersucht wird unter anderem die Organisation der Wahl, der gesetzliche Rahmen, die Medienkampagnen und die Parteienfinanzierung. "Und anschließend formulieren wir unsere Empfehlungen", erklärte Mukhamedov. Zwei Monate nach der Wahl dürfte diese Einschätzung schriftlich vorliegen. Üblicherweise gehen die OSZE- Berichte an das Außenministerium. Im Falle Deutschlands geht der Report jedoch an das Innenministerium - weil es Ressortleiter Schäuble war, der die Einladung im Januar ausgesprochen hatte.

Bei der Parlamentswahl in Bulgarien im Juli zum Beispiel hatten die OSZE-Beobachter in ihrem Bericht scharf kritisiert, dass kurz vor dem Urnengang noch das Wahlrecht geändert worden war. Man darf gespannt sein, wie die OSZE-Experten etwa das deutsche Problem der Überhangmandate beurteilen werden, bei denen eine Partei mehr Stimmen erhalten kann, als ihr nach dem Verhältniswahlrecht eigentlich zustehen. Das Bundesverfassungsgericht hat die Überhangmandate als eklatanten Verstoß gegen die Wahlgleichheit gegeißelt. Die OSZE-Beobachter erklärten, dass sie auch diesem Problem ihre Aufmerksamkeit widmen werden.

Zudem werden sie untersuchen, ob im deutschen Wahlkampf einige Parteien benachteiligt wurden. Mukhamedov bestritt jedoch Medienberichte, in denen behauptet worden war, dass dies der eigentliche Grund sei, weshalb eine OSZE-Beobachtermission in diesem Jahr nach Deutschland komme. An der OSZE sind 56 Staaten beteiligt - außer allen Staaten Europas sowie den Nachfolgestaaten der UdSSR auch die USA und Kanada.