Ministerin Schavan (CDU) hielt ein Papier, das die Vorzüge der Kernkraft hervorhebt, seit Juni unter Verschluss. Es gibt Kritik.

Hamburg. Knapp zwei Wochen vor der Bundestagswahl hat ein Papier zur Kernenergie für Wirbel gesorgt. Wie gestern bekannt wurde, hatte Bundesministerin für Bildung und Forschung, Annette Schavan (CDU), bereits seit mehreren Monaten eine von ihr in Auftrag gegebene Studie unter Verschluss gehalten, die sich mit der Zukunft der Energieversorgung in Deutschland beschäftigt. In der Studie "Konzept für ein integriertes Energieforschungsprogramm für Deutschland" untersuchen etwa 100 Wissenschaftler unter anderem die Möglichkeiten für den Neubau von Atomkraftwerken: "Abhängig von politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen könnte sich Deutschland aber in der Zukunft wieder an der Entwicklung und dem Bau von neuen Kernkraftwerken beteiligen, um einen erheblichen Teil des Energiebedarfs mit Kernenergie zu decken."

Trotz unbestreitbarer Risiken biete die Kernkraft "eine kostengünstige und konsensfähige Grundlast-Stromversorgung ohne CO2-Ausstoß". Auch eine verstärkte Suche nach alternativen Endlager-Möglichkeiten wurde angesprochen. Denkbar sei demnach die Einlagerung des Atommülls in Tongestein. Solche Formationen gibt es vor allem in Schavans Heimat Baden-Württemberg.

Hans-Josef Fell, energiepolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, zeigte sich nicht überrascht: "Schavan verfolgt mit diesem Papier eine langjährige Strategie. In der EU hat sie sich bereits mit Erfolg für die Entwicklung neuer Atomreaktoren eingesetzt und die Euratom-Forschungsmittel erhöht", sagte er dem Abendblatt. Er halte es für "sehr wahrscheinlich", dass die CDU, sollte sie demnächst mit der FDP regieren, in der Frage der Atompolitik wieder eine "komplette Kehrtwende" vornehme. Auch Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) äußerte sich kritisch. "Offensichtlich spielt die Atomkraft in den Planungen der Union insgeheim eine größere Rolle als bisher immer behauptet", erklärte er. "Während Frau Merkel offiziell von der Atomkraft als ,Brückentechnologie' für den Übergang zu den erneuerbaren Energien spricht, lässt sie zu, dass ihre Forschungsministerin Gutachten in Auftrag gibt, die schon mal den Neubau von Atomreaktoren untersuchen."

Schavan erläuterte dagegen, die Forschungsinstitute hätten im Juli ein erstes Konzept erstellt, das 60 Seiten umfasse und die mögliche künftige Nutzung aller Energieformen prüfe. Gerade mal drei Seiten behandelten dabei die Frage, ob und wie Atomenergie künftig genutzt werden könnte. Das endgültige Gutachten werde zudem erst im Frühjahr 2010 vorliegen. "Angesichts dessen ist es absurd zu behaupten, mein Ministerium habe den Auftrag erteilt, eine Studie über den Neubau von Atomkraftwerken zu erstellen", sagte Schavan. Der Mitautor und renommierte Risikoforscher Ortwin Renn (Stuttgart) begründete die Zurückhaltung des ersten Entwurfs in einem Brief an seine Kollegen mit der Gefahr, dass das Konzept ansonsten "im Wahlkampf untergeht oder zerredet wird".