Aber nicht nur das Nuklearprogramm, sondern vor allem die Menschenrechtsverstöße des Iran müssten Thema sein, sagt die mutige Anwältin.

Hamburg. "Entschuldigen Sie, dass ich so klein bin", sagt Shirin Ebadi und muss in das Lachen ihrer Zuhörer hinein selbst lachen. Kaum reicht sie ans Mikrofon in der Katharinenkirche heran - aber dennoch wirkt die 62-Jährige raumfüllend, selbst mit wenigen resoluten Gesten wie ein Kraftbündel.

Die Veranstaltung, zu der die Heinrich-Böll-Stiftung Hamburg am Dienstag eingeladen hatte, ist bis auf den letzten Platz gefüllt. In großer Zahl sind exiliranische Landsleute erschienen, die Ebadi frenetisch feiern. Denn die Friedensnobelpreisträgerin berichtet nach den jüngsten Unruhen im Iran nicht vom Verzagen, sondern vom Widerstand, und sie stellt auch Forderungen.

"Einen militärischen Angriff werden wir niemals hinnehmen", stellt Ebadi klar. Auch ein Wirtschaftsembargo gegen Iran träfe nur die Bevölkerung. "Es gibt nur eine Option: mit dem Regime verhandeln." Ausdrücklich verlangt Shirin Ebadi jedoch vom Westen, mit dem Iran nicht nur über dessen Atomprogramm, sondern auch über Menschenrechtsverletzungen zu verhandeln. "Seit drei Jahren sprechen die Europäer mit dem Iran über Nukleartechnologie. So als ginge es dem Westen allein um seine eigenen Sicherheitsinteressen, aber nicht um die Rechte und Freiheiten des iranischen Volkes."

Die Ex-Richterin, heutige Anwältin und Menschenrechtsaktivistin bestätigt, dass mehr als 3000 Menschen nach den Unruhen verhaftet wurden. "Aber die friedliche Protestbewegung muss weitergehen. Das Volk hat seine eigenen Methoden." So hätten sich Mütter, deren Söhne und Töchter verhaftet oder verschwunden seien, zu einem "Komitee trauernder Mütter" zusammengeschlossen, das sich jeden Sonnabend schweigend in Schwarz in einem Teheraner Park versammelt. "Ich wünsche mir, dass sich auch in Hamburg ein Solidaritätskomitee gründet und sonnabends in Parks an die Opfer erinnert." Im Interview mit dem Abendblatt sagt Ebadi, in der iranischen Geistlichkeit gebe es deutliche Konflikte. Die Risse zwischen Unterstützern und Gegnern des Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad seien tiefer geworden. Erst am Wochenende hatte der frühere Reform-Präsident, Ayatollah Mohammed Chatami, die Hardliner in bisher ungewohnt scharfer Form kritisiert und ihnen "faschistische und totalitäre Methoden" vorgeworfen.

Sein Gegenspieler, Irans oberster Führer Ayatollah Ali Chamenei, stützt den Präsidenten, aber jetzt warnte er ihn erstmals vor Selbstüberschätzung und riet ihm öffentlich, mehr wirtschaftliches Know-how von Experten zu nutzen. Shirin Ebadi umreißt Ahmadinedschads Wirtschaftsbilanz mit fünf Worten: "Preissteigerungen und eine steigende Inflationsrate."

Dass der Präsident jetzt erstmals Frauen in seine Regierung aufnimmt - wie die Medizinerin Marsieh Dastscherdi als Gesundheitsministerin -, wertet Ebadi als Versuch, "die iranischen Frauen zu besänftigen". Aber Dastscherdi sei ebenso fundamentalistisch eingestellt wie Ahmadinedschad. Sie habe es abgelehnt, die Konvention gegen die Unterdrückung der Frau zu unterzeichnen und sich gegen die Polygamie auszusprechen. "Es ist klar, dass eine solche Frau als Ministerin die Iranerinnen nicht besänftigen kann." Die Unzufriedenheit gerade unter jungen Frauen sei groß, vor allem über die diskriminierenden islamischen Gesetze, nach denen zum Beispiel das Leben, die Gesundheit und die Zeugenaussage einer Frau halb so viel wert sind wie die eines Mannes. Zwar gebe es keine gesetzlichen Verbote bei der Berufswahl. "65 Prozent der Studierenden sind Mädchen", sagt Ebadi, "aber die Arbeitslosenrate unter Frauen ist dreimal höher als die der Männer."

Als Rechtsanwältin setzt sie sich vor allem für den Schutz von Frauen und Kindern ein. Trotz ihrer offenen Kritik am Regime konnte sie lange ohne Repressalien arbeiten. Das hat sich geändert: Im Dezember wurde ihre Kanzlei durchsucht; ihr "Center for Defenders of Human Rights", ein Zusammenschluss von Menschenrechtsgruppen, wurde von der Polizei geschlossen. Wie ein früheres Ostblockland behauptet Irans Führung, das Center und Ebadi lieferten negative Informationen ins Ausland. "Die 'Belästigungen' seitens der Regierung nehmen Tag für Tag zu", sagt Ebadi. Kanzlei-Mitarbeiterinnen würden drangsaliert oder zu Spitzeldiensten aufgefordert; ein Kollege ist bereits in Haft.

Sie sagt es ruhig. Ihre hochgezogenen Brauen zeigen: Ich weiß, was diese Vorzeichen bedeuten, aber aufgeben will ich nicht.