Früh um sechs Uhr steht der Backsteinbau des Gymnasiums Klosterschule in St. Georg normalerweise ziemlich verlassen da. Doch an diesem Morgen ist alles anders.

Hamburg/Berlin. Ein silberner Reisebus steht vor der Schule, und rund 40 Schüler des Doppel-Abitur-Jahrgangs warten gemeinsam mit ihren Lehrern gespannt auf die Abfahrt. So eine Klassenfahrt hat es in der Klosterschule noch nie gegeben: Es geht zum Spitzenkandidaten der SPD, zu Vizekanzler und Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier - und direkt in dessen Wirkungsstätte, ins Auswärtige Amt im Herzen von Berlin. Während der Fahrt herrscht konzentrierte Ruhe - die fünf Schülerinnen und Schüler, die später auf dem Podium den SPD-Politiker befragen, gehen noch einmal ihre Fragen durch. Hat sich die Lage so verändert, dass man eine neue Frage entwickeln müsste? Nein, so der einhellige Tenor. Die Interviewer haben sich perfekt vorbereitet. Lehrer Ernst Ossenbrügge ist gespannt: "So ein persönliches Zusammentreffen mit einem Kandidaten würde es normalerweise nicht geben. Ich hoffe, wir werden mit neuen politischen Erkenntnissen nach Hause fahren."

Angekommen beim Auswärtigen Amt am Werderschen Markt, stehen vor den politischen Erkenntnissen erst einmal ganz andere Erkenntnisse auf dem Programm: ein Rundgang durch den monströsen 20er-Jahre-Bau der früheren Reichsbank. Vom Innenhof, wo der Außenminister seine Staatsgäste in Empfang nimmt, geht es durch die marmorgetäfelte Empfangshalle hinein ins Krisenreaktionszentrum. Hier tagt der Krisenstab, wann immer Deutschen in aller Welt etwas zugestoßen ist. Hier wird bei Entführungen vermittelt, hier wird Hilfe organisiert wie etwa beim Tsunami Weihnachten 2004. Selbst die Bundeskanzlerin hat hier einen für sie reservierten Sitzplatz. Das Krisenreaktionszentrum war einmal ein Tresor. Die meterdicken Stahltüren erinnern daran.

Dann wird es ernst. Vor dem Interview müssen die Schüler in die Maske. Ein bisschen Puder aufs Gesicht - so glänzt die Haut nicht mehr im Scheinwerferlicht. Auf dem Podium im Foyer des Europasaals tut sich nun was: Die fünf Interviewer werden ihren Plätzen zugewiesen und besprechen mit den Moderatoren des Interviews, Abendblatt-Chefredakteur Claus Strunz und Abendblatt-Politikchef Jochen Gaugele, die letzten Details. Dann betritt Steinmeier den Saal. Eine Dreiviertelstunde - genau eine Schulstunde - ist geplant. Doch Steinmeier nimmt sich fast eine Stunde Zeit für die Fragen der Gymnasiasten. Manche beantwortet der Kanzlerkandidat routiniert, bei anderen ist er sichtlich überrascht und muss sich erst mal genau überlegen, was er eigentlich sagen will.

Am Ende sind die Interviewer zufrieden. "Ich fand es interessant, einen Spitzenpolitiker so aus der Nähe zu erleben", sagt Sophie Paasche. "Allerdings hat er auf mich den Eindruck gemacht, dass er genau weiß, was er sagt. Ich würde gern wissen, wie er wirklich denkt." Sara Akbarzadah resümiert: "Er ist eigentlich ein ganz normaler Mensch. Ich glaube, er steht hinter seinen Sachen." Und Julia Möbius aus dem Publikum sagt: "Niedlich, wie er sich über seinen eigenen Witz gefreut hat."