Müssen Altkanzler Helmut Kohl und Innenminister Wolfgang Schäuble aussagen? Die Union gibt sich gelassen.

Berlin. Zehn Jahre war es ihm gelungen, seine Auslieferung nach Deutschland zu verhindern. Jetzt hat der Waffenlobbyist Karlheinz Schreiber doch verloren - nicht zuletzt dank des Einsatzes von Justizministerin Brigitte Zypries (SPD), die in den zurückliegenden Wochen den Druck auf die kanadische Regierung verstärkt hatte. Der Prozess gegen die Schlüsselfigur in der CDU-Parteispendenaffäre der 90er-Jahre dürfte nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft aber erst nach der Bundestagswahl im Herbst beginnen.

Den 75-Jährigen erwartet ein Verfahren am Landgericht Augsburg wegen Untreue, Bestechung, Betrugs und Steuerhinterziehung. Dabei drohe ihm eine Gesamtstrafe von bis zu 15 Jahren, sagte Oberstaatsanwalt Reinhard Nemetz. Schreiber soll Waffengeschäfte mit Saudi-Arabien vermittelt haben. In der Vergangenheit hatte er für den Fall seiner Auslieferung mit der Enthüllung belastender Details gedroht.

Landgerichtspräsident Herbert Veh sagte, Schreiber, dessen Haftbefehl noch von 1999 stammt, werde heute angehört. Einen Fahrplan für seinen Prozess gebe es noch nicht. Der Auftakt solle sich aber nicht "lange hinziehen". Die Bundestagswahl Ende September werde keinen Einfluss auf die Termine haben. Der kanadische Justizminister Rob Nicholson teilte in Ottawa mit, Schreiber habe ausreichend Gelegenheit gehabt, die Abschiebung anzufechten. Ein Berufungsgericht hatte zuvor einen Antrag Schreibers abgelehnt, die Überstellung noch einmal zu blockieren. Einen Hilferuf an Bundeskanzlerin Angela Merkel wies diese nach Angaben eines Regierungssprechers ab.


Schreiber landete gestern Vormittag an Bord einer Air-Canada-Maschine aus Toronto kommend in München. Von dort aus wurde er direkt nach Augsburg gebracht, wo er nun in Einzelhaft sitzt. Seine gesundheitliche Verfassung hätten ein deutscher und ein kanadischer Arzt geklärt. Bedenken habe es nicht gegeben, sagte Nemetz.


Für die CDU-Vorsitzende Merkel und ihre Partei kommt die Auslieferung knapp acht Wochen vor der Bundestagswahl denkbar ungelegen. Schreiber hatte rund eine Million Mark in einem Koffer an den damaligen Schatzmeister der CDU, Walther Leisler Kiep, übergeben. Später stellte sich heraus, dass die Partei jahrelang ein System schwarzer Konten für Parteispenden unterhielt.


Dies brachte nicht nur Ex-Kanzler Helmut Kohl in Bedrängnis, der sich bis heute weigert, Namen der Spender zu nennen und deshalb den Ehrenvorsitz der CDU abgeben musste. Auch der heutige Innenminister Wolfgang Schäuble musste im Jahr 2000 als Parteichef abtreten, weil Schreiber erklärte, er habe einst an ihn ebenfalls einen Umschlag mit 100 000 Mark übergeben, was Schäuble erst später einräumte. Für den Fall einer Auslieferung nach Deutschland hatte Schreiber vor einigen Jahren angekündigt, weitere belastende Dinge auszupacken. Andererseits galt er mehr und mehr als notorischer Wichtigtuer, der im Grunde nichts in der Hand hat.


Während ein Sprecher von Justizministerin Brigitte Zypries den Vorwurf Schreibers als "völlig aus der Luft gegriffen" zurückwies, die SPD wolle mit ihm erneut in Deutschland die Wahlen gewinnen, griff der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering anlässlich Schreibers Auslieferung die Unionsparteien an: "Wir müssen da nichts machen. Stinken tut's nicht bei uns, sondern bei ganz anderen."

Bei der Union gab man sich nach außen gelassen. Sowohl im Adenauer-Haus als auch in der CSU-Zentrale in München hieß es, Schreiber sei nun ein Fall für die Justiz. CSU-Chef Horst Seehofer betonte: "Das hat keine politische Relevanz." Doch das stimmt nur bedingt. Denn mit Schreiber kehren jedenfalls die Schatten der Vergangenheit zurück. Mit Spannung wird erwartet, ob sich in seinen Koffern, in denen er einst bündelweise Geld für Bestechungen durch die Republik transportierte, noch bisher unbekannte Notizbücher befinden.


Minutiös aufgelistet sollen in diesen Kalendern Namen, Geldsummen und Daten sein, vor denen sich die Politik möglicherweise auch noch heute fürchten muss. Theoretisch möglich ist, dass als Zeugen prominente Personen aufgerufen werden. In einem eventuell Millionen teuren Verfahren könnten unter anderem auch Kohl und Schäuble in den Zeugenstand gerufen werden.


Im März 1999 war Schreiber der deutschen Justiz mit seinem kanadischen Pass nach Ottawa entwischt. Im Verlauf des Spendenskandals und des 1999 eingesetzten Spenden-Ausschusses widersetzte sich Kohl mit allem persönlichen und juristischen Nachdruck dem Vorwurf, Regierungshandeln könnte während seiner Kanzlerschaft käuflich gewesen sein. In die eigene Tasche hatte Kohl genauso wie Schäuble keinen Pfennig gesteckt.