Kirchen, Parteien und Prominente haben wochenlang gestritten. Am Freitag schaltete sich auch noch die Kanzlerin ein.

Berlin. Mit Günther Jauch konnte man rechnen. Arne Friedrich hat alle überrascht. Den einen oder anderen hat es sogar regelrecht erbost, dass sich der Kapitän von Hertha BSC auf den Pro-Reli-Plakaten für die Einführung von Religion als Pflichtfach an den Berliner Schulen stark macht. Kaum hatte er Friedrich auf einem der Großplakate entdeckt, schrieb beispielsweise Herr Beyer an eine der Lokalzeitungen, "als Hertha-Fan" nehme er mit Befremden zur Kenntnis, dass sich Arne Friedrich "vor den Karren von Pro Reli" spannen lasse. "Sollten nicht gerade bei einem Sportverein, in dem auch viele Sportler ausländischer Herkunft sind", fragte Herr Beyer, "die ethischen Werte, Grundsätze und Gemeinsamkeiten einen höheren Stellenwert als die Religion haben?" Er persönlich wundere sich nun gar nicht mehr über interne Spannungen im Verein.

Unmittelbar vor dem Referendum war die Stimmung so aufgeheizt, dass der Glaubenskrieg auf den letzten Metern sogar die Gerichte beschäftigte und sich am Freitag auch noch die Kanzlerin einschaltete. Auf einer Konferenz der CDU-Kreisvorsitzenden sagte Angela Merkel, sie werde sich dafür einsetzen und auch dafür stimmen, dass der Volksentscheid am Sonntag ein Erfolg werde. Es müsse auch in Berlin eine Wahl geben zwischen Religions- und Ethikunterricht. "Ich wünsche mir", sagte die Kanzlerin, "dass möglichst viele Bürger dafür stimmen."

Und davon wird tatsächlich alles abhängen. 2,45 Millionen Berliner sind am Sonntag aufgerufen, über die Zukunft des Religionsunterrichts an den öffentlichen Schulen ihrer Stadt abzustimmen. Die von den Kirchen unterstützte Initiative Pro Reli will, dass sich die Schüler in Zukunft von der 1. Klasse an zwischen den Fächern Ethik und Religion entscheiden können. Dagegen will die von Klaus Wowereit (SPD) geführte rot-rote Koalition das im Jahr 2006 gegen den erbitterten Widerstand der Kirchen eingeführte Modell beibehalten: Ethik von der 7. bis zur 10. Klasse verbindlich für alle - Religion freiwillig am Nachmittag. Um drei oder um vier. Wenn die anderen längst Fußball spielen oder in der Eisdiele sitzen, wie der evangelische Landesbischof Wolfgang Huber bitter angemerkt hat. Der auch sagt, Religion sei etwas sehr Persönliches, aber etwas Privates sei sie nicht: "Woran Menschen sich orientieren, prägt ihr Leben und damit unsere Gesellschaft im Ganzen." Toleranz im Dialog der Religionen, so Huber, setze religiöses Wissen voraus.

Und Erzbischof Robert Zollitzsch, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, sagte der "Bild"-Zeitung am Freitag, in Berlin sei der Anteil der Christen an der Gesamtbevölkerung zwar vergleichsweise gering, aber: "Christen wollen in der Mitte der Gesellschaft sein. Sie befürchten, dass Wichtiges verloren geht, wenn ihre Überzeugungen an den Rand gedrängt werden." Ihn bewege die Sorge, dass christliche Werte ihre Kraft verlören.

Das lässt sich in der Hauptstadt bereits beobachten. Von den 3,4 Millionen Berlinern sind 19,9 Prozent evangelisch und 9,5 Prozent römisch-katholisch. Beide Kirchen haben die Pro-Reli-Initiative intensiv unterstützt. Auch die Parteien haben sich - ihren ideologischen Positionen entsprechend - finanziell beteiligt. Für besonderen Wirbel sorgte am Donnerstagabend das Oberverwaltungsgericht Berlin mit einer Eilentscheidung. Die Richter untersagten dem Senat, seine gegen Pro Reli gerichtete Kampagne aus Steuergeldern zu finanzieren. Anlass waren die Anzeigen, die der Senat in sieben Tageszeitungen geschaltete hatte. Darin hatte es unter anderem geheißen: "Würde Pro Reli sich durchsetzen, gäbe es weniger Freiheit." Das Gericht sah dadurch die Chancengleichheit verletzt und hob eine gegenteilige Entscheidung des Verwaltungsgerichts vom selben Tag auf.

Am Sonntag haben nun alle Berliner das Wort. Vor allem im Westen der Stadt schaut Günther Jauch mahnend von den Pro-Reli-Plakaten herunter. Daneben steht der Satz: "In Berlin geht's um die Freiheit." Darunter: "Stimmen Sie mit Ja!"

Das müssten mindestens 25 Prozent der wahlberechtigten Berliner tun, wenn die Initiative Pro Reli Erfolg haben soll. Umgerechnet also etwa 612 000 Bürger. Das Ergebnis dieses Volksentscheids ist für die Landesregierung übrigens bindend.