Am Morgen hatte in der “Süddeutschen Zeitung“ gestanden, die Gewerkschaften und die SPD würden sich in diesen Tagen “belauern“. Man schreite nicht mehr “Seit' an Seit'“.

Indikator: Auf der zentralen DGB-Kundgebung am 1. Mai in Bremen werde kein SPD-Politiker sprechen.

DGB-Chef Michael Sommer hatte das natürlich gelesen. Und der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering selbstverständlich auch. Der Zufall wollte es, dass die beiden Herren abends in Potsdam zusammentrafen, beim Betriebsräte- und Arbeitnehmerforum der brandenburgischen SPD-Landtagsfraktion. Und da konnte es niemanden wundern, dass "die Hütte" hübsch voll war, wie es der SPD-Fraktionsvorsitzende Günter Baaske launig formulierte.

Aber was machen zwei Profis, die wissen, dass man einen eleganten Austausch von Gemeinheiten von ihnen erwartet? Sie sagen sich Freundlichkeiten! Sommer fing an.

Betonte, wie gern er nach Potsdam gekommen sei. Dass es sich bei der Zeitungsstory um "die übliche Geschichte" handele, um "dummes Zeug". Zwar habe man es nie leicht miteinander gehabt, so der DGB-Vorsitzende betont munter, aber man habe gemeinsame Wurzeln und eine gemeinsame Aufgabe.

Geradezu froh zeigte sich Sommer über die Bemühungen Franz Münteferings, die Beziehung zwischen SPD und Gewerkschaften "auf 'ne vernünftige Basis zu bringen". Schon als Bundesarbeitsminister habe der Franz ja "'nen guten Job" gemacht, das müsse noch mal gesagt werden.

Nach so vielen Nettigkeiten wollte sich Müntefering natürlich auch nicht lumpen lassen. Aber er machte es dann doch deutlich kürzer. Michael Sommer habe "mit sehr freundlichen Bemerkungen begonnen", sagte Müntefering. Er selbst sei natürlich auch sehr dafür, die Gelegenheiten zu nutzen, "sich auch mal was Freundliches zu sagen". Mit Blick in den Saal fügte der SPD-Chef hinzu, es gebe in Deutschland starke organisierte Arbeitnehmer, die "um ihre Verantwortung für die Demokratie" wüssten. "Danke an alle in diesem Raum!"

Das mit der Verantwortung für die Demokratie wird Sommer so verstanden haben, wie es gemeint war: als Appell an seine Staatsräson. Aber dabei beließ es Müntefering - und ging zu den Themen über, die man in den Gewerkschaften immer gerne hört. Dass die SPD "mit sittenwidrig niedrigen und sittenwidrig hohen Löhnen" Schluss machen will ("Dass ein Banker 500-mal so viel verdient wie eine Krankenschwester, bringt die Leute um ihren Verstand!"). Dass die SPD flächendeckend Mindestlöhne und die Reichensteuer einführen will ("Paare, die mehr als 20 000 Euro im Monat verdienen, sollen zwei Prozent Steuern mehr zahlen, und das ist gerechtfertigt!"). Und dass sie Steueroasen austrocknen werde ("... 20 bis 30 Briefkästen, in die die Reichen ihr Geld stecken, und sie denken, die anderen sind zu dumm, es zu finden!")

Es war eine typische Müntefering-Rede. Schwungvoll, unterhaltsam und einen Hauch pathetisch. Die SPD sei in Deutschland seit 146 Jahren für "die organisierte Solidarität" zuständig, sagte er. Davon verstehe sie mehr als alle anderen Parteien und Organisationen. "Menschen für Menschen, Generationen für Generationen - so muss das funktionieren!"

Bilanz: Von einem "Belauern" kann wohl keine Rede sein. Michael Sommer gab sich gestern aber deutlich verbindlicher als der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering. Wie hat Sommer gesagt? "Die Menschen erwarten von uns keine Revolutionen, sondern dass wir uns für sie einsetzen."