Der Sozialdemokrat nimmt in der Wirtschaftskrise die Bundesländer in die Pflicht - und denkt an eine Fortsetzung von Schwarz-Rot über 2009 hinaus.

Hamburg/Berlin. Hamburger Abendblatt:

Herr Struck, Angela Merkel lehnt auch nach dem CDU-Parteitag schnelle Steuersenkungen ab. Sie haben hier Gelegenheit, die Kanzlerin zu loben.

Peter Struck:

Ich halte das für richtig. Über weitere Maßnahmen zu reden, bevor die ersten überhaupt in Kraft gesetzt sind, macht ja keinen Sinn.



Abendblatt:

Was ist eigentlich falsch daran, die Bürger sofort zu entlasten?

Struck:

Erstens sind Steuersenkungen im Augenblick überhaupt nicht finanzierbar. Zweitens wirken Einkommenssteuersenkungen erst zeitverzögert. Drittens gibt es 25 Millionen Haushalte in Deutschland, die zahlen keine Einkommensteuer. Rentner beispielsweise haben davon gar nichts.



Abendblatt:

Die Diskussion über ein zweites Konjunkturpaket ist schon in vollem Gange. Frau Merkel hält sich alle Optionen offen. Welche sollte sie ergreifen?

Struck:

Auch in meiner Partei wird diskutiert, vor allem über Konsumgutscheine. Ich bin da sehr skeptisch. Es kostet viel Geld, jedem Erwachsenen in Deutschland 500 Euro zu schenken. Das wären 30 oder 40 Milliarden Euro, die der Staat nicht hat. Was machen wir denn, wenn in einem halben Jahr die gleiche Situation ist? Noch einmal 40 Milliarden ausgeben? Allein die Diskussion darüber ist schädlich, denn sie führt zu Kaufzurückhaltung. Die Leute schieben Anschaffungen auf und warten auf den Konsumgutschein. Insofern sollten alle den Mund halten und abwarten, wie das jetzt beschlossene Konjunkturpaket wirkt.



Abendblatt:

Am 5. Januar trifft sich die Koalitionsrunde, um die Lage in der Finanzkrise zu analysieren. Beschränken Sie sich auf einen nachweihnachtlichen Punschplausch, wie CSU-Landesgruppenchef Ramsauer vermutet?

Struck:

Es wäre viel zu früh, gleich nach Weihnachten weitere Maßnahmen zur Belebung der Konjunktur zu beschließen. Diskutieren sollten wir allerdings über kommunale Investitionsmöglichkeiten. Ich halte es für einen Skandal, dass Eltern von eigenem Geld und eigener Arbeitskraft die Schulen ihrer Kinder streichen müssen, weil die Städte und Gemeinden das nicht mehr bezahlen können. Deswegen organisiert die SPD-Fraktion für Ende Januar eine Konferenz mit Kommunalpolitikern.



Abendblatt:

Mit welchem Ziel?

Struck:

Wir wollen hören, wie der Bund den Kommunen am besten helfen kann. Wir können entsprechende Investitionsprogramme im Haushalt von Verkehrsminister Tiefensee aufstocken. Für solche Investitionen kann man durchaus mehr Schulden machen, denn von besseren Straßen, besseren Schulen und besseren Universitäten haben auch nachfolgende Generationen etwas. Doch dazu müssen wir eine Hürde überwinden ...



Abendblatt:

... nämlich?

Struck:

Die Verfassung verbietet es dem Bund, direkt an Gemeinden Geld zu geben. Das muss über die Länder laufen. Aber die sind raffgierig und behalten viel davon für sich. Das müssen wir überwinden. Ich fordere die Länder auf, in dieser Sondersituation mehr Flexibilität zu zeigen. Sie sollten Gemeinden, die beispielsweise die notwendigen zehn Prozent Eigenmittel für eine Fördermaßnahme des Bundes nicht aufbringen können, das Geld trotzdem zur Verfügung stellen. Darüber hinaus erwarte ich von reichen Ländern wie Bayern oder Baden-Württemberg, dass sie selbst kommunale Investitionsprogramme auflegen. Die Länder können in dieser Situation nicht die Hände in den Schoß legen und den Bund allein lassen.



Abendblatt:

Beim EU-Gipfel nächste Woche in Brüssel wird der Druck auf Deutschland wachsen, noch mehr zur Belebung der Konjunktur zu tun.

Struck:

Wir haben unseren Anteil schon erbracht. Es bedarf über die nationalen Anstrengungen hinaus keines zusätzlichen europäischen Programms. Wichtig ist uns ein abgestimmtes Vorgehen auf europäischer Ebene, wie es Frank-Walter Steinmeier angeregt hat.



Abendblatt:

Sie sind sich mit der Kanzlerin einig wie selten. Wie ist sonst die Stimmung in der Großen Koalition?

Struck:

Sie ist natürlich etwas getrübt durch die scharfen und zum Teil heuchlerischen Attacken der CDU. Ich verstehe es auch nicht. Wenn man Vertrauen in der Bevölkerung für die Regierungsarbeit gewinnen will, darf man dem Koalitionspartner nicht andauernd gegen das Schienbein treten. Wir sollten bis Ostern ordentlich zusammenarbeiten. Danach ist Wahlkampf.



Abendblatt:

Welche Koalition könnte besser auf die Wirtschaftskrise reagieren als Schwarz-Rot?

Struck:

Im Augenblick sehe ich keine. Was wir bisher hinbekommen haben, das schafft nur eine Große Koalition. Die Menschen vertrauen Finanzminister Steinbrück und auch der Kanzlerin in der Krise. Das Potenzial muss man nutzen.



Abendblatt:

Also Schwarz-Rot über 2009 hinaus?

Struck:

Die dunklen Wolken am Horizont werden den Wunsch der Menschen nach einer Großen Koalition verstärken. Natürlich will die Union lieber mit Herrn Westerwelle regieren und wir mit den Grünen. Aber ob es für das eine oder das andere reicht, ist ungewiss. Niemand kann ausschließen, dass die Große Koalition fortgesetzt werden muss.



Abendblatt:

Die SPD ist in Umfragen auf 23 Prozent abgestürzt. Warum gibt es keinen Müntefering-Effekt?

Struck:

Das hat viel mit Hessen zu tun. Die Ereignisse haben uns überrumpelt. Aber ich bin davon überzeugt, dass die Wahlergebnisse der SPD im kommenden Jahr deutlich besser sein werden als die Umfragen.



Abendblatt:

Die Neuwahlen in Hessen bilden den Auftakt. Wie stehen die Chancen, dass Ihr neuer Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel den amtierenden Ministerpräsidenten Roland Koch ablöst?

Struck:

Er macht seine Sache gut. Thorsten Schäfer-Gümbel hat klar erklärt, was für Fehler gemacht worden sind. Er hat auch die völlig falschen Parteiordnungsverfahren gegen die vier Landtagsabgeordneten, die gegen eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei waren, aus der Welt geschafft. Aber er hat es natürlich schwer. Die hessische SPD hat in den vergangenen Monaten kein überzeugendes Bild abgegeben.



Abendblatt:

Zieht die gescheiterte Parteichefin Ypsilanti im Hintergrund weiter die Fäden?

Struck:

Thorsten Schäfer-Gümbel ist ein eigener Kopf und unabhängig von Andrea Ypsilanti. Er ist ein selbstbewusster Spitzenkandidat. Für mich ist völlig klar: Er wäre ein besserer Ministerpräsident als Roland Koch. Falls das nicht gelingen sollte, ist er auf jeden Fall die Nummer eins der SPD in Hessen.



Abendblatt:

Der frühere Bundesinnenminister Otto Schily rät seinen Genossen, nicht nur im Bund, sondern auch in den Ländern auf eine Zusammenarbeit mit Lafontaines Linkspartei zu verzichten. Warum hört die SPD nicht auf ihn?

Struck:

Die Landesverbände müssen selbst entscheiden, mit wem sie Koalitionen eingehen. Im Osten ist die PDS eine durchaus realistisch orientierte Partei, mit der man eine Menge zusammen machen kann. Im Westen ist es schwieriger, weil die Linkspartei stärker von Lafontaine beeinflusst und auf Krawall gebürstet ist.



Abendblatt:

Im Saarland könnten SPD und Linkspartei im kommenden Jahr die CDU übertreffen. Landeschef Heiko Maas strebt nach Rot-Rot. Hat er Ihre Unterstützung?

Struck:

Die hat er. Allerdings darf Lafontaine nicht Ministerpräsident werden. Wir werden einen Kandidaten der Linkspartei nicht zum Ministerpräsidenten wählen, auch nicht im Osten.



Abendblatt:

Würden Sie auch sagen, Sie regieren niemals mit der Linken im Bund?

Struck:

Ich halte die Linkspartei im Bund nicht für koalitionsfähig, solange sie die Auslandseinsätze der Bundeswehr ablehnt, den europäischen Einigungsprozess nicht will und eine unrealistische Finanz- und Wirtschaftspolitik verfolgt. Da geht mit der Linkspartei nichts. Vielleicht ändert sich das in fünf oder zehn Jahren, wenn sich vernünftige Leute in der Partei durchsetzen.



Abendblatt:

Herr Struck, nach der Bundestagswahl scheidet die "Generation Schröder" aus dem Bundestag aus, auch Sie gehen in den politischen Ruhestand. Wird das den politischen Betrieb verändern?

Struck:

Ich glaube, nicht wesentlich. Wenn ich heute mit meinen großen Vorbildern Helmut Schmidt und Hans-Jochen Vogel spreche, geht das schon nach der Melodie: Wir haben alles besser gemacht, und ihr seid die Amateure. Und ich denke mal, ich werde in 20 Jahren genauso reden über meine Nachfolger. Aber es ist nicht so. Wir sind keine Amateure, früher war auch nicht alles besser, und in Zukunft wird nicht alles schlechter.



Abendblatt:

Haben Sie schon Pläne für die Zeit danach?

Struck:

Motorrad fahren, dann Familie natürlich. Ich will auch gern intensiver in der Friedrich-Ebert-Stiftung mitarbeiten, deren stellvertretender Vorsitzender ich werde. Ich fürchte nicht, dass ich mich langweile.