Wirtschaftsexperte Prof. Scheide im Abendblatt: “Man muss überlegen, ob man die Banken zwingt, sich Kapital zu beschaffen.“

Hamburg/Berlin. Die Banken haben die internationale Finanzkrise ausgelöst. Und sie sind nach Auskunft von Wirtschaftsexperten der Schlüssel, um aus dem wirtschaftlichen Abschwung wieder einen Aufschwung zu machen. "Auf den Banken liegt das Hauptgewicht. Sie müssen wieder Kredite vergeben, um eine Umkehr zu bewirken", sagte der Leiter des Prognose-Zentrums am Institut für Weltwirtschaft in Kiel, Prof. Joachim Scheide, dem Abendblatt.

Wie tief die Krise wird, könne man noch nicht sagen. Mit zwei oder drei Quartalen Rezession rechnet Scheide. "Wann die Konjunktur den Boden findet, hängt davon ab, wann der Bankensektor zum normalen Geschäft zurückkehrt."

Skeptisch sieht der Wirtschaftsforscher das Konjunkturprogramm der Bundesregierung mit der Förderung des Neuwagenkaufs, besserer Absetzbarkeit von Handwerkerrechnungen und der Gebäudesanierung. Dessen Effekte seien, wenn überhaupt, erst in gut einem Jahr sichtbar. Die Banken jedoch müssten den Rettungsfonds der Politik stärker in Anspruch nehmen. "Diese Situation können wir uns nicht lange leisten", sagte Scheide. "Man müsste sonst überlegen, ob man nicht die Banken zwingt, sich Kapital zu beschaffen."

Denn erstmals seit 30 Jahren geraten Deutschland und die anderen großen Industriestaaten zeitgleich in die Rezession. Im laufenden vierten Quartal werde das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der 30 OECD-Staaten um 1,4 Prozent schrumpfen, teilte die Organisation für Wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit mit.

In Deutschland sank das BIP laut Statistischem Bundesamt schon im dritten Quartal um 0,5 Prozent. In der Eurozone sei bis Ende 2010 ein Anstieg der Arbeitslosigkeit auf 9,0 Prozent zu befürchten, so die OECD. Derzeit liege die Quote bei 7,4 Prozent. Von steigenden Erwerbslosenzahlen geht auch Forscher Scheide aus. "Die Nachfrage nach Arbeitskräften ist rückläufig, weil die Produktion sinkt. Wir haben außerdem schon jetzt große Einbußen beim Export." Das wird auch Hamburg zu spüren bekommen.

Derweil brachten die Koalitionsfraktionen von Union und SPD ein Konjunkturpaket auf den Weg, das bis zu 50 Milliarden Euro an Investitionen auslösen und eine Million Arbeitsplätze sichern soll. Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) sprach von einem "starken Belastungstest" für die deutsche Wirtschaft. Es müsse alles getan werden, den Abschwung zu stoppen und umzukehren. Glos sprach sich außerdem für eine "durchgreifende Steuerreform" aus.

Die Ökonomen der deutschen Banken gaben sich von den schlechten Zahlen überrascht. Der Rückgang des BIP sei "deutlich stärker ausgefallen als allgemein erwartet", sagte Ralph Solveen von der Commerzbank. Alles deute zudem darauf hin, dass sich die Abwärtsbewegung im vierten Quartal noch weiter verstärkt habe. Volkswirte der BayernLB sprachen vom stärksten Einbruch seit dem zweiten Vierteljahr 1998. "Deutschland steckt mitten in der schwersten Rezession seit Jahrzehnten."

Der Chefökonom des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Dierk Hirschel, forderte eine bessere Kontrolle von Banken und Unternehmen: "Banker, Broker und Vermögensverwalter dürfen nie wieder in die Lage versetzt werden, die Jobs und den Lebensabend von Millionen hart arbeitender Menschen zu gefährden."

Zwei von drei Deutschen sehen erst den Anfang einer schweren Wirtschaftskrise und fürchten, dass es noch schlimmer wird. Nach einer Umfrage der "Leipziger Volkszeitung" ist der Anteil der Besorgten mit 77 Prozent im Osten größer als im Westen (63 Prozent).