Der Chef der Osteuropabank äußert seine Erwartungen an das Gipfeltreffen in Washington.

Hamburg. Hamburger Abendblatt:

Kann der Weltfinanzgipfel am kommenden Wochenende in Washington eine weltweite Wirtschaftskrise abwenden?

Thomas Mirow:

Die Krise lässt sich nicht mehr abwenden, sie ist schon da. Jetzt muss es darauf ankommen, möglichst rasch aus der Krise herauszufinden, und es müssen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass sich eine solche Krise nicht wiederholen kann.



Abendblatt:

Worauf wollen Sie hinaus?

Mirow:

Die jeweiligen Maßnahmen, um die jetzige Krise in den Griff zu bekommen, müssen in erster Linie von den einzelnen Regierungen national, aber gleichzeitig möglichst koordiniert ergriffen werden. In Washington müssen sich die Staats- und Regierungschefs darum bemühen, die Ursachen zu beseitigen, die zu dieser Krise geführt haben.



Abendblatt:

Zum Beispiel?

Mirow:

Es war zu einfach, Kredite zu vergeben und diese neu verpackt an andere weiterzureichen. Oder Möglichkeiten zu nutzen, außerhalb des regulierten Bereichs der Banken über Sonderfirmen riskante Geschäfte zu machen. Außerdem hat man sich zu sehr auf die Bewertung von Rating-Agenturen verlassen. Die Europäer, die Amerikaner und die Vertreter der wichtigsten Schwellenländer müssen jetzt auf höchster politischer Ebene den Willen zu erkennen geben, dass sie diese Dinge anpacken wollen. Die Politik muss es schaffen - sich daran gewöhnen -, genauso global zu agieren wie Banken und Unternehmen.



Abendblatt:

Kann die Politik überhaupt wirksam durchgreifen?

Mirow:

Das ist ein schwieriger Prozess, denn in Wahrheit muss man bereit sein, bestimmte Souveränitätsrechte abzugeben und zu akzeptieren, dass Entscheidungen, die für das eigene Volk wichtig sind, an einem anderen Ort getroffen werden. Aber mehr Zusammenarbeit, mehr Austausch, besseres Zusammenwirken in der Aufsicht, einheitlichere Maßstäbe - das sind Dinge, die man sehr wohl auch kurzfristig erreichen kann.



Abendblatt:

Die Europäische Union will lückenlose Finanzkontrolle, mehr Kompetenzen für den IWF, Bankmanagern auf die Finger schauen, Hedgefonds und Rating-Agenturen genauer unter die Lupe nehmen. Was halten Sie davon?

Mirow:

Diese Ideen sind alle sinnvoll. Die Frage wird sein, ob andere Teile der Welt, die Regulierungsplänen skeptischer gegenüberstehen als die Europäer, bereit sind, auf diesen Kurs einzuschwenken.



Abendblatt:

Welche Länder könnten das sein?

Mirow:

Etwa die USA, die Regulierungen traditionell skeptisch gegenüberstehen.



Abendblatt:

Ungarn hat IWF-Kredite beantragt, und in Lettland wurde gerade die Parex-Bank und damit die zweitgrößte Bank des Landes verstaatlicht. Sind Aufschwung und hohe Wachstumsraten in Osteuropa damit schon vorbei?

Mirow:

Die hohen Wachstumsraten sind für die nächsten Jahre kaum noch zu erwarten, obwohl sie in einigen Ländern noch recht hoch sind, verglichen mit den Werten bei uns. Die Länder haben Nachholbedarf, aber sie werden auch leiden, wenn die Nachfrage nach Produkten, die dort hergestellt werden, sinkt, zum Beispiel Zulieferungen für die Autoindustrie. Dann kommt der Domino-Effekt.



Abendblatt:

Wie betrifft die Finanzkrise Hamburg als Hafen und wichtigen Logistik-Standort? Kommt die Hansestadt besser weg als andere Regionen?

Mirow:

Es gibt niemanden, der von dieser globalen Krise unberührt bleibt. Hamburg hat in den letzten Jahren gut daran verdient, dass deutsche Produkte im Ausland sehr gefragt waren. Wenn die Nachfrage sinkt, wird im Hafen auch weniger umgeschlagen.



Abendblatt:

Sie sind Chef der Osteuropabank, inwieweit ist Ihr Institut von der Krise betroffen?

Mirow:

Wir haben in viele Banken und Unternehmen in Osteuropa investiert. An den Börsen dieser Länder lässt sich ablesen, dass die Werte stark gesunken sind. Das wird sich in unseren Bilanzen niederschlagen. Gleichzeitig steigt die Nachfrage nach unseren Dienstleistungen. Wir sind sehr gut kapitalisiert und können eine Krisensituation überstehen, ohne dass wir unser Jahresvolumen von sechs Milliarden Euro an Investitionen und Krediten reduzieren müssen.