Der SPD-Vize sagt, was er vom neuen Mann in Washington erwartet. Und warum in Deutschland die Löhne steigen müssen.

Hamburg/Berlin. Hamburger Abendblatt:

Herr Steinmeier, haben Sie mit Barack Obama seit seiner Wahl schon gesprochen?

Frank-Walter Steinmeier:

Ich habe mit ihm vor der Wahl gesprochen. Das waren gute Gespräche. Und ich hatte den Eindruck, dass Barack Obama nicht nur die USA meint, wenn er von "Change" spricht.



Abendblatt:

Sondern?

Steinmeier:

Dass er einen Neuanfang auch auf der internationalen Bühne will. Darin liegen für uns alle große Chancen. Auch ich meine, dass ein Neustart im Verhältnis zwischen Europa und Amerika längst überfällig ist. Natürlich müssen wir da weiter über Sicherheitspolitik reden, ganz klar. Aber die neue transatlantische Agenda wäre unvollständig, wenn wir die großen Zukunftsthemen wie Klimawandel und Energiesicherheit außen vor ließen. Auch Abrüstung gehört dazu. Obama sieht das ähnlich. Und wenn er sagt, dass es darauf ankomme, neue Partner zu suchen, und weniger Gegner - auch da kann ich ihm nur zustimmen. Die Welt des 21. Jahrhunderts ist kein einfaches Schwarz-Weiß, immer wieder muss man das Gespräch suchen - auch mit schwierigen Partnern.



Abendblatt:

Allenthalben wird erwartet, dass Deutschland jetzt mehr Verantwortung in der Welt übernehmen muss. Was genau kommt auf uns zu?

Steinmeier:

Unsere Partner wissen, wie intensiv wir engagiert sind, in Afghanistan, auch auf dem Balkan. Vergessen Sie nicht: In Afghanistan stellen wir das drittstärkste Kontingent, und wir haben es gerade erst um 1000 Mann aufgestockt. Wir haben überhaupt keinen Grund, uns zu verstecken. Obama hat mir gesagt, dass er den deutschen Beitrag sehr schätzt. Wichtiger noch, er hat sich dafür ausgesprochen, nicht nur Soldaten zu schicken, sondern vor allem auch mehr zu tun für den Wiederaufbau des Landes. Eine Forderung, die ich auch im deutschen Bundestag immer wieder höre. Gerade von Niels Annen ...



Abendblatt:

... dem Hamburger SPD-Abgeordneten ...

Steinmeier:

... der sich hervorragend kümmert, habe ich da immer wieder gute Vorschläge und Anregungen bekommen. Ich kann nur sagen: Wir sind hier sehr nah bei Obama. Wir werden in Afghanistan nur Erfolg haben, wenn wir nicht allein auf militärische Mittel setzen. Natürlich brauchen die Menschen dort Sicherheit, aber genauso brauchen sie die Aussicht auf ein besseres Leben.



Abendblatt:

Was macht Sie so sicher, dass die transatlantischen Beziehungen einfacher werden als unter Präsident George W. Bush?

Steinmeier:

Ich bin jedenfalls sehr zuversichtlich, dass wir eine gute Zusammenarbeit hinbekommen. Fragen Sie doch mal die Leute, die im Juli vor der Siegessäule in Berlin dabei waren. Eine großartige Rede. Das war das Angebot einer umfassenden Partnerschaft zwischen den USA und Europa, zwischen Amerika und Deutschland. Ich bin mir sicher, dass Barack Obama daran anknüpft, wenn er im Januar die Amtsgeschäfte übernimmt. Natürlich wird auch er zuallererst amerikanische Interessen vertreten, natürlich werden wir auch mit ihm Meinungsverschiedenheiten haben. Aber er setzt auf internationale Zusammenarbeit, er will Konflikte eher gemeinsam als im Alleingang lösen, und er will den USA verbindliche Klimaziele verordnen. Ich glaube, wir können uns auf diese Präsidentschaft freuen.



Abendblatt:

Russland hat den neuen US-Präsidenten mit der Ankündigung begrüßt, Kurzstreckenraketen an der NATO-Grenze zu stationieren. Wie sollte Obama darauf reagieren?

Steinmeier:

Als ich diese Meldung wenige Stunden nach der US-Wahl sah, habe ich gesagt: Falsches Signal zum falschen Zeitpunkt. Da kommt ein neuer amerikanischer Präsident, der von Neuanfang und von neuen Partnerschaften spricht. Daraus ergeben sich Chancen, die wir nicht ungenutzt lassen dürfen. Das Letzte, was wir brauchen, ist ein neuer Stationierungswettlauf. Als es um den Raketenabwehrschirm in Polen und Tschechien ging, habe ich immer wieder dazu aufgerufen, solche Dinge zu besprechen, auch mit Russland. Von Obama erwarte ich, dass er solche Gespräche sucht. Genauso erwarte ich auch von der russischen Führung, dass sie jetzt auf Europäer und Amerikaner zugeht.



Abendblatt:

Herr Steinmeier, eine Frage an den Kanzlerkandidaten: Die IG Metall ist entschlossen, ihre Forderung nach acht Prozent mehr Lohn mit Streiks durchzusetzen. Ist das angesichts der Finanzkrise zu verantworten?

Steinmeier:

Tarifverhandlungen sind in Deutschland Sache der Tarifparteien. Natürlich erwarte ich, dass dabei die Rahmenbedingungen berücksichtigt werden, in denen sie stattfinden. Tatsache ist, dass die Beschäftigten und die Gewerkschaften mit ihrer maßvollen Lohnpolitik zum Aufschwung in den letzten Jahren entscheidend beigetragen haben. Sie haben Anspruch auf einen fairen Anteil an den Gewinnen. Gutes Geld im Portemonnaie der Arbeitnehmer stützt auch die Binnenkonjunktur im nächsten Jahr. Ich kenne die Tarifpartner auf beiden Seiten, und darum bin ich sicher, dass am Ende ein vernünftiger Kompromiss steht.



Abendblatt:

Die Bundesregierung hat ein Konjunkturprogramm auf den Weg gebracht. Kann ein Abgleiten Deutschlands in die Rezession damit verhindert werden?

Steinmeier:

Die Finanzkrise wird die Konjunktur auch in Deutschland schwächen. Vor uns liegt in jedem Fall eine Rüttelstrecke. Wahr ist aber auch: Weil wir in den vergangenen Jahren eine mutige Politik gemacht haben, ist unser Land besser gerüstet als andere.



Abendblatt:

Das bedeutet?

Steinmeier:

Für mich und für die SPD gilt nächstes Jahr als oberstes Gebot: Wir werden um jeden Job kämpfen. Darum haben wir nach dem Rettungsschirm für die Banken jetzt einen Schutzschirm für die Arbeitsplätze in Deutschland aufgespannt. Dazu geben wir mehr Zuschüsse für Gebäudesanierung, mehr Anreize für den Autokauf, mehr Steuervorteile, wenn man Handwerker bestellt. Wichtig ist auch, dass Unternehmen ihre Mitarbeiter so lange wie möglich im Betrieb halten. Darum hat Olaf Scholz das Kurzarbeitergeld auf 18 Monate verlängert. Gleichzeitig wollen wir ihre Qualifizierung fördern und geben dazu mehr Geld an die Bundesanstalt für Arbeit. Wir tun alles, um den Abschwung so gut wie möglich abzufedern.



Abendblatt:

Im Streit um die Erbschaftssteuerreform hat sich die Union in zentralen Punkten durchgesetzt. Haben die Sozialdemokraten nicht hart genug verhandelt?

Steinmeier:

Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung? Wir dürfen doch nicht vergessen, wo wir herkommen. Viele aus der Union wollten die Erbschaftssteuer ganz abschaffen. Das wäre weder sozial noch mit Rücksicht auf die Länder zu verantworten gewesen, die diese Einnahmen dringend brauchen. Ich kann mit dem jetzt gefundenen Kompromiss gut leben.