Hans-Gert Pöttering lehnt vor dem EU-Krisengipfel am Sonntag einen europäischen Rettungsfonds für Banken ab.

Hamburg/Brüssel. Hamburger Abendblatt:

Herr Präsident, was empfinden Sie, wenn Sie den Absturz an den Finanzmärkten verfolgen?

Hans-Gert Pöttering:

Ich bin enttäuscht. Aber jetzt kommt es darauf an, mit klugem Verstand den Herausforderungen zu begegnen. Wir müssen zur Ordnung an den Finanzmärkten zurückkehren.



Abendblatt:

Wie schlimm kann diese Krise noch werden?

Pöttering:

Wir sollten durch unsere Rhetorik keinen Beitrag zur Dramatisierung leisten. Ich halte jeden Vergleich mit der Weltwirtschaftskrise der 20er-Jahre für verfehlt.



Abendblatt:

Wer hat versagt?

Pöttering:

Er ist nicht die Zeit von Schuldzuweisungen. Ich erinnere allerdings daran, dass im Europäischen Parlament seit Jahren eine stärkere Kontrolle der Banken und größere Transparenz gefordert wird. Dem haben sich die USA und andere Partner widersetzt. Auch die Europäische Kommission ist unseren Forderungen, Vorschläge für eine bessere Bankenaufsicht zu unterbreiten, nicht nachgekommen.



Abendblatt:

Wie können Manager, die das Finanzsystem ruinieren, zur Rechenschaft gezogen werden?

Pöttering:

Wir müssen von Managern eine größere Verantwortlichkeit gegenüber Aufsichtsgremien fordern. Inwieweit sie haftbar gemacht werden können, ist am Ende eine Frage ihrer Verträge. Um die Glaubwürdigkeit des Bankensektors wiederherzustellen, sollte man Obergrenzen für die Gehälter von Bankmanagern einführen. Bankmanager sind keine Beamte, aber Gehälter in Millionenhöhe sind in Krisenzeiten einfach nicht akzeptabel. Wenn eine Bank im Niedergang ist, muss dieses Konsequenzen für die Höhe der Gehälter haben. In den Verträgen mit den Bankmanagern sollte das vereinbart werden.



Abendblatt:

Wirkt das Handeln der Regierungen derzeit souverän und konsequent?

Pöttering:

Es wäre wünschenswert gewesen, man hätte sich im Rahmen der Europäischen Union auf ein stärker abgestimmtes Handeln verständigt. Dieses ist nicht geschehen. Es handelt sich eher um Einzelmaßnahmen der jeweiligen nationalen Regierungen. Entscheidend ist jetzt, dass eine bessere europäische Koordinierung bei der Bankenaufsicht gelingt. Dieses ist die Stunde der Europäischen Union. Wir müssen gemeinsam entschlossen handeln. Nationale Egoismen sind jetzt fehl am Platz.



Abendblatt:

Mehrere EU-Staaten fordern einen gesamteuropäischen Rettungsfonds für Banken.

Pöttering:

Es wäre verfrüht, sich für einen europäischen Rettungsfonds auszusprechen. Die Lastenteilung zwischen den Ländern ist noch gar nicht absehbar. Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass Kosten, die in dieser Krise national entstehen, vor allem national getragen werden sollten.



Abendblatt:

Am Sonntag treffen sich die Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone zu einem Krisengipfel, am Mittwoch folgt ein EU-Gipfel. Was muss - neben der Verständigung auf eine bessere Bankenaufsicht - herauskommen?

Pöttering:

Wir brauchen vor allem gemeinsame Regeln für die Garantie von Spareinlagen. Das Europäische Parlament fordert die Anhebung der Einlagensicherung von 20 000 auf 50 000 Euro. Wir müssen den vielen kleinen Sparern mehr Sicherheit geben.



Abendblatt:

Sind Staaten überhaupt in der Lage, solche Garantien verlässlich zu geben?

Pöttering:

Wenn nicht die Staaten, wer dann? Aber das politische Ziel ist es natürlich zu vermeiden, dass eine solche Extremsituation überhaupt entsteht. Gerade deswegen bemühen sich jetzt ja alle mehr um Zusammenarbeit, um eine konzertierte Stützung des Bankensektors. Ich bin zuversichtlich, dass das gelingt, wenn alle den politischen Willen hierzu haben.



Abendblatt:

Was bedeutet die Krise für die Stabilität des Euro?

Pöttering:

Meine absolut dringliche Empfehlung ist, dass wir an der Stabilität des Euro festhalten. Das heißt: Keine unverantwortbare Neuverschuldung! In manchen Staaten wächst die Neigung, angesichts der Finanzkrise die Stabilitätskriterien von Maastricht aufzuweichen. Davor kann ich nur warnen.



Abendblatt:

Dann müssen Sie sparen.

Pöttering:

Wir werden wahrscheinlich darüber nachdenken müssen, was unsere Prioritäten in dieser Situation sind. Jedenfalls sollten wir nicht in Bereichen sparen, die die Grundlage für unsere wirtschaftliche Entwicklung in der Zukunft sind, wie Bildung und Ausbildung. Alles in allem kann es aber bedeuten, dass wir in vielen Bereichen den Gürtel enger schnallen müssen und jeder auf die eine oder andere Weise seinen Beitrag in dieser Situation leisten muss.