Mediziner verlangen bessere Entlohnung. “Dadurch wird die Versorgung nicht automatisch besser“, sagen Kritiker.

Hamburg/Ulm. Patientenvertreter haben die gesundheitspolitischen Forderungen der Mediziner beim Deutschen Ärztetag scharf zurückgewiesen. "Die Ärzte schieben die Patienten häufig vor", sagte Edeltraud Paul-Bauer von der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland (UPD) dem Abendblatt. "Mit höheren Gehältern für Ärzte wird die Versorgung der Patienten nicht automatisch besser. Es ist genug Geld im deutschen Gesundheitssystem, man muss es nur richtig verteilen."

Kritik an den Ärzteforderungen hat auch die unabhängige Gesellschaft für Versicherte und Patienten. Ihr Präsident Wolfram-Arnim Candidus sagte dem Abendblatt: "Ein Gesundheitsrat, wie die Ärzte ihn vorgeschlagen haben, wird nicht kommen. Wir können nicht an jeder Ecke eine neue Institution aufmachen." Candidus schlägt vor, "das Gesundheitssystem von unten zu reformieren". Das hieße, auch die Krankenkassen und andere Interessenvertretungen auszuschließen.

Die Ärzte-Warnung vor einer Rationierung teurer medizinischer Leistungen kritisierte auch die Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe. Deren Referatsleiter Gesundheitspolitik, Martin Danner, sagte dem Abendblatt: "Die Ärzte haben beispielsweise im Gemeinsamen Bundesausschuss die Entscheidung über die Analog-Insuline selbst mitgetragen. Bevor man den Patienten das medizinisch Notwendige entzieht, muss der Nutzen etablierter Methoden kritisch geprüft werden."

Einen nationalen Gesundheitsrat, wie ihn die Bundesärzteschaft gefordert hat, hält der Dachverband von 104 Selbsthilfeorganisationen für überflüssig. Der bestehende Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) regelt derzeit, welche Leistungen die gesetzlichen Krankenkassen bezahlen. Zum G-BA gehören Krankenkassen, Ärztevertreter sowie Abgesandte der Krankenhäuser. Die neun Patientenvertreter haben kein Stimmrecht.

Dass für die ambulante Behandlung jährlich 23 Milliarden Euro ausgegeben werden, für die medikamentöse aber 27,5 Milliarden, sieht Patientenberaterin Paul-Bauer kritisch: "Das zeigt doch, dass zu schnell zu viele Medikamente verschrieben werden. Die Ärzte sollten den Mut haben, bei einer Grippe auch mal nichts zu verordnen. Es werden sowieso viel zu viele Antibiotika verschrieben."

In diese Kerbe schlägt auch Candidus: "Von operativer Medizin können Ärzte gut leben. Und jetzt haben wir plötzlich kein Geld, um die Ärzte zu bezahlen, die konservativ behandeln." Es dürfe nicht sein, dass gesetzlich Versicherte nur noch das Minimum der Regelversorgung bekämen. "Das kann ich nicht dulden."

Von den Auswüchsen der extra bezahlten "individuellen Gesundheitsleistungen" beim Arzt (zusätzliche Untersuchungen, Fitness-Tests, manche Früherkennungen) weiß Patientenberaterin Paul-Bauer ein Lied zu singen: "Wer traut sich denn, eine IGel-Leistung abzulehnen, wenn der Arzt sie vorschlägt? Die Mediziner sind doch häufig vom Heiler zum Verkäufer geworden."

Wie die Rationierung ärztlicher Leistungen aussieht, verdeutlicht Selbsthilfe-Fachmann Danner: "Ärzte weisen bisweilen darauf hin, dass Krankengymnastik rationiert ist, sie nicht häufiger als in bestimmten Intervallen verschrieben werden kann. Aber von dieser Regelung gibt es Ausnahmen. Die Ärzte verschreiben oft nur deshalb nicht, weil sie Regresse fürchten. Am Ende bekommen die Bedürftigen die Leistung nicht."

Danner hat große Bedenken, dass der geplante Gesundheitsfonds die Finanzsituation und die Stimmung zwischen Ärzten, Kassen und Patienten verschärfen werde. "Wir haben Sorge, ob dieses System funktioniert. Wenn der einheitlich festgelegte Beitragssatz zur Krankenkasse politisch gewollt zu niedrig angesetzt wird, fehlen wieder Milliarden im Gesundheitswesen." Diese Sorge teilen - auf andere Weise - auch Krankenkassen.

In einem sind sich Patientenvertreter und Ärzte einig: Das umstrittene Milliardenprojekt elektronische Gesundheitskarte, die derzeit getestet wird und demnächst an alle Versicherten ausgegeben werden soll, ist ein Flop. "Sie ist nicht im Sinne der Patienten", sagte Candidus.