Ohne die Mitarbeiter der Unterabteilung ZT Technik und Betrieb liefe wenig im Reichstagsgebäude.

Berlin. Antonio Fenoy, genannt Toni, ist der wichtigste Mann des Deutschen Bundestages. Ohne Herrn Fenoy vom Referat ZT3 Liegenschaften und Gebäudetechnik - so nennt das die Parlamentsbürokratie - würde der Bundestag nämlich gar nicht das tun können, wofür er so oft gescholten wird: heiße Luft produzieren. Herr Fenoy ist ein kleiner, schnauzbärtiger Rheinländer mit andalusischen Wurzeln, der gerne redet und stolz auf seinen Job ist. Und dieser Job ist es, für das richtige Klima im Reichstag zu sorgen. Fenoy bedient die riesige, ultramoderne Klimaanlage im Untergeschoss des 123 Jahre alten Gebäudes. Wenn man es genau nimmt, ist die Luft, die den Plenarsaal von unten bis in den Entlüftungsrüssel der gläsernen Kuppel durchströmt, gar nicht so heiß. Vielmehr wird sie so temperiert, dass die politische Arbeit in möglichst angenehmer Atmosphäre stattfinden kann. 42 000 bis 62 000 Kubikmeter Luft lässt Toni Fenoy pro Stunde durch den Saal steigen. "Und die hat genau 21,3 Grad." Unten im Keller kann es ganz schön windig sein, weil dort Ventilatoren - jeder über einen Meter im Durchmesser - Luft in den Saal blasen. "Oben merkt man davon nichts", sagt Herr Fenoy. Schließlich dürfen die Abgeordneten vor ihren weitreichenden Entscheidungen keine kalten Füße und schon gar keinen Schnupfen bekommen. Der Bundestag ist überhaupt eine gigantische Maschine - nicht nur auf dem Unterdeck. Das sechsgeschossige Reichstagsgebäude mit Plenarsaal und Glaskuppel bildet den Kern. In direkter Nachbarschaft liegen drei Gebäudekomplexe, die nach verdienten Reichstags- und Bundestagsabgeordneten benannt sind: das Paul-Löbe-Haus mit Abgeordnetenbüros und Ausschusssälen, das Marie-Elisabeth-Lüders-Haus mit Verwaltung, Technik und Bibliothek und das Jakob-Kaiser-Haus, in dem der Großteil der Parlamentarier logiert. Insgesamt 3400 Büros, 43 Besprechungsräume, 25 Sitzungssäle, 150 Serviceräume und zahllose Nebengelasse, eine Kantine, zwei Cafeterias, zwei Abgeordneten- und zwei Besucherrestaurants. Was in Bonn noch gewuchertes Provisorium war, ist in Berlin perfekt geplantes System.

Besucherebene im Reichstag Ohne Jose Cases ginge in diesem Organismus alles drunter und drüber. Jose Cases ist einer der Herren im Frack, die für den reibungslosen Ablauf des Parlamentsgeschehens unverzichtbar sind. Die Leute in dunkelblau mit den Rockschößen und den goldenen Knöpfen mit dem Bundesadler drauf, grauer Weste und dem weißen Hemd mit verdeckter Knopfleiste bewachen während der Sitzungen die Eingänge zum Plenarsaal. Niemand darf hier herein - nur Abgeordnete, Regierungsmitglieder und Saaldiener. Sie bringen Faxe und Akten zu den Abgeordneten. Sie vermitteln Telefongespräche. Sie stellen jedem Redner ein frisches Glas Wasser aufs Pult. Und sie zähmen die Besuchergruppen, die auf den Gästetribünen des Saales Platz nehmen. Die Regeln, denen sich die täglich 2250 bis 3250 Besucher des Bundestages unterwerfen müssen, sind streng. Im Plenarsaal wird nicht geredet, gegessen schon gar nicht. Und wer von einer Rede begeistert ist, darf auf keinen Fall klatschen. Beifallsbekundungen sind den Abgeordneten vorbehalten. Nicht mal wer auf der Regierungsbank sitzt, darf applaudieren. "Handys - soweit vorhanden - ausschalten! Handtaschen abgeben!" Herr Cases steht inmitten einer Schülergruppe, die der Glastür zur Tribüne entgegendrängt, und dirigiert die Jugendlichen. "Und Fotoapparate..." Herr Cases lässt das Wort einen Moment über der Besucherebene schweben. "Gar nicht dran denken, sie zu benutzen!" Auch Jose Cases ist wie Antonio Fenoy spanischer Herkunft. Das deutet aber nicht darauf hin, dass die deutsche Parlamentsarena von stolzen Iberern okkupiert würde. Es sagt vielmehr etwas über die Einwanderungswege ins Rheinland. Denn auch Herr Cases spricht im freundlichen Singsang der Bonner - wie viele, denen man auf einer Expedition zu den Geheimnissen der Unterabteilung ZT Technik und Betrieb begegnet.

Der Andachtsraum Wenn es Annette Kipp-Santer nicht gäbe, dann fehlte dem Deutschen Bundestag die geistliche Mitte. Auch Frau Kipp-Santer trägt Frack - genau gesagt: ein Frackkostüm mit einem Spitzentaschentuch in der Brusttasche. Sie beginnt ihren Arbeitstag im Plenar- und Ausschussassistenzdienst mit dem Entzünden der großen Kerze links vom Altar im Andachtsraum, Zimmernummer 1S019, Reichstag, 1. Etage, Südseite. Frau Kipp-Santer erledigt die Vorbereitungen für die ökumenische Morgenandacht, die in jeder Plenarwoche donnerstags 8.30 Uhr abgehalten wird. Sie mache das gerne, sagt die schlanke Dame, "auch weil es meiner Neigung entspricht". Sie verteilt die Zettel auf die 20 Stühle mit den senkrechten Rückenlehnen. Und sie liest vor dem Dutzend Abgeordneten und Mitarbeitern des Hohen Hauses das "Eingangsvotum", heute einen Abschnitt aus dem 46. Psalm "Gott ist unsere Zuversicht und Stärke". Christian Schlicke trägt einen spitzen Kinnbart und ein ausgebeultes Fischgrätsakko. Er ist ein aus Oederan stammender Landeskirchenmusikdirektor im Ruhestand und spielt in Raum 1S019 die Orgel. "Ein schönes Instrument", findet Herr Schlicke. Es ist ein schlichter Holzkasten, abgestimmt auf die schnörkellose Strenge des Andachtsraums mit den Nagelbildern des Künstlers Günther Uecker. Seit dem Regierungsumzug 1999 spielt Herr Schlicke hier die Orgel. Für jede Sitzungswoche dieses Jahres bekommt er ein Musikblatt von der Evangelischen Kirche zugeschickt, auf dem Lieder, Bibelstelle und Vaterunser vermerkt sind. Nächstes Jahr übernimmt wieder die Katholische Kirche diese Aufgabe. 23 "MdBs", Mitglieder des Bundestages, sind studierte Theologen. Einige von ihnen wechseln sich damit ab, die "Gedanken zum Tag" zu formulieren und in der Morgenandacht vorzutragen. Steffen Reiche, SPD-Abgeordneter für den Wahlkreis Cottbus-Spree-Neiße und "Pfarrer im Wartestand" spricht heute die tröstenden Worte. Dann geht es rüber in den Plenarsaal. Und dort kann es - gleich nach der geistlichen Stärkung - um einen Auslandseinsatz der Bundeswehr oder die Kürzung einer Sozialleistung gehen.

Die Präsenzbibliothek Ohne Christa Steenken könnte der Deutsche Bundestag keine Entscheidung treffen. Rechtzeitig vor Beginn einer namentlichen Abstimmung schließt Saaldienerin Steenken die Wandschränke in der Westlobby des Plenarsaals auf. Sie schiebt die Türen nach oben und gibt so die Fächer frei, in denen die Abstimmungskärtchen der Abgeordneten lagern - blaue für Ja, rote für Nein, weiße für Enthaltung. Und weil manchmal mehr als eine namentliche Entscheidung in kurzer Zeit zu treffen ist, gibt es von jeder Farbe mehrere. Während der Abstimmung bewachen sechs Diener gemeinsam mit den Schriftführern der Fraktion sechs Wahlurnen im Plenarsaal. Wenn der Sitzungspräsident die Abstimmung geschlossen hat, verlässt eine befrackte Prozession samt Urnen den Saal und geht in die Präsenzbibliothek. Das ist ein Raum mit dunklen Regalen und gediegenen Ledersesseln, Nummer 1N014. Brigitte Rubbel, die amtierende Leiterin des Plenar- und Ausschussassistenzdienstes, führt diese Urnenprozession an. Auf drei großen Tischen werden die farbigen Kärtchen ausgezählt. Das Abstimmungsergebnis steht dann fest und kann verkündet werden. Weil allerdings bei namentlichen Abstimmungen naheliegenderweise auch die Namen der Abgeordneten ihrem Stimmverhalten zugeordnet werden müssen, ist die Arbeit hier längst noch nicht vorbei. Eine Etage tiefer werden die Kärtchen - alle mit einem individuellen Strichcode versehen - mit einem Scanner wie an der Supermarktkasse eingelesen. Doch damit haben die Damen Rubbel und Steenken nichts mehr zu tun. Frau Rubbel vom Referat ZT4 war auch noch nie "dort unten". Das Einscannen fällt in den Geschäftsbereich des Referats PD1 Parlamentssekretariat.

Die Postverteilung Ohne Hartmut Zimmer und seine Leute geht im Bundestag praktisch nichts. Ohne Hartmut Zimmer, Referat ZT4, Leiter Postdienste, wären die 613 Abgeordneten und ihre Mitarbeiter praktisch von der Außenwelt abgeschnitten - vom schriftlichen Kontakt mit den Bürgern jedenfalls. Herr Zimmer und seine 30 Mitarbeiter von der Postverteilung, Raum U1731, arbeiten vor allem im Untergeschoss des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses. Über das "unterirdische Erschließungssystem UES" können die Siebeneinhalbtonner von Post, Briefdiensten und Speditionen direkt an Zimmers Verteilzentrum andocken. Der gleiche Tunnel verbindet alle Bundestagsgebäude. Er unterquert dazu die Spree, wird durch enorme Wasserschotts gegen Überflutung geschützt und dient auch allen anderen Stellen zur Belieferung. Die Grundstoffe für täglich mehr als 3000 Mahlzeiten aus der Bundestagsgastronomie werden hier in den zentralen Organismus der Demokratie eingespeist. Auch die Panzerlimousinen der Fraktionschefs fahren hier geschützt vor den Augen der Öffentlichkeit ein und aus. Und über die gleichen Wege verlassen täglich Tonnen von Müll und Altpapier den Gebäudekomplex. Herr Zimmer betreibt in den verschiedenen Gebäudeteilen insgesamt 17 sogenannte Etagenservicezentren, von denen die Abgeordneten ihre Post abholen können. "40 000 bis 50 000 Briefe gehen täglich bei uns ein", sagt Herr Zimmer, "zehn Tonnen Post." Drei Leute hat Herr Zimmer ausschließlich für die "Problempost". Wenn beispielsweise ein Brief an "Herrn Mieselpriem, Bundestag" eingehe, werde gesucht, bis man den Adressaten als bisher unbekannten Mitarbeiter eines Abgeordneten oder als Referenten in einem Ministerium identifiziert habe. "Wir schicken keine Post zurück, ehe wir nicht alles versucht haben", sagt Herr Zimmer. Briefe, Päckchen, Pakete werden hier von Hand zugeordnet, ebenso wie jährlich mehr als dreieinhalbtausend offizielle Bundestagsdrucksachen, die in einer Auflage von bis zu 3000 Stück an Abgeordnete, Ministerien, Bundesrat und Presse verteilt werden. Alles unheimlich modern, sagt Herr Zimmer. "Im Vergleich zu den beengten Verhältnissen in Bonn ist das hier wie ein Lottogewinn."

Unterabteilung ZT: Klimatechniker, Saaldiener, Postverteiler und was es sonst noch alles gibt im Bereich Technik und Betrieb. Beamtenrechtlich, sagt Frau Rubbel, gehören die meisten zum "einfachen Dienst. Aber von der Wichtigkeit für den Parlamentsbetrieb sind wir ganz oben anzusiedeln." Frau Rubbel untertreibt. Sollten die Maschinisten der Demokratie mal ausfallen - die Republik würde erbeben. Ein bisschen jedenfalls.