Auch die Wirtschaft warnt: Höhere Beiträge machen Arbeit teurer und vernichten Arbeitsplätze.

BERLIN. Kaum ist das Schreckensszenario eines steigenden Krankenkassenbeitrags an die Wand gemalt, rudern die ersten Politiker aus den Reihen der Großen Koalition zurück. Der Gesundheitsfonds müsse überdacht werden, heißt es aus der CSU. "Das war nie ein Projekt der SPD", giftete der sozialdemokratische Gesundheitsexperte Karl Lauterbach.

Beschlossen aber haben es die Großkoalitionäre in langen Nachtsitzungen: mit Ideen von unabhängigen Experten und aus der CDU (Fonds), mit Nachbesserungen aus dem Hause Ulla Schmidt (SPD) und weiteren Kompromisskorrekturen der Top-Leute Angela Merkel (Kanzlerin), Franz Müntefering (damals Vize) und Edmund Stoiber (ehemals bayerischer Ministerpräsident). Dass der ab 2009 geltende Einheitsbeitrag auf gut 15 Prozent (Durchschnitt zurzeit 14,8 Prozent) steigen und damit die Krankenversicherung für Millionen Bürger teurer machen wird, ist seitdem bekannt.

Deshalb und weil der Einheitsbeitrag erst im November festgelegt wird, üben sich die Besonnenen auch in Ruhe: "Ich sehe im Moment noch keine Notwendigkeit zu sagen - das muss verschoben werden", sagte die SPD-Expertin Elke Ferner gegenüber Reuters.

"Solange die Auswirkungen des Gesundheitsfonds nicht im Detail geklärt sind, steht die Verschiebung im Raum", meinte allerdings die bayerische Gesundheitsministerin Christa Stewens (CSU) in der "Welt". Auch Baden-Württembergs Sozialministerin Monika Stolz (CDU) sieht das ähnlich.

Zur Erinnerung: Vor allem die süddeutschen Bundesländer als klassische Zahlerländer im Kassen-Finanzausgleich haben sich in der Gesundheitsreform gegen neue Mechanismen gesperrt. Die Bürger ihrer Länder würden überproportional belastet.

Deshalb drohte sogar Kanzlerin Merkel die Zustimmung der Länderfürsten Edmund Stoiber und Günther Oettinger zu verlieren. Diese politische Wunde scheint wieder aufzureißen, auch wenn die Reform bereits Gesetz ist.

Rund 60 Krankenkassen haben zum Jahresbeginn die Beiträge erhöht. Beim Start des Fonds 2009 müssen alle schuldenfrei sein. Die Kassen rechnen derzeit nicht nur, wie viel Geld sie einnehmen müssen, um nach dem Fonds-Start ein Polster zu haben. Sie tricksen auch bei den Ausgaben. Denn bis zum Herbst 2008 muss ein Schätzerkreis hochrechnen, welchen Finanzbedarf die Kassen haben. Daraus leiten sie den neuen Einheitssatz ab.

Jede Kasse bekommt pro Versicherten einen Kopfbetrag. Wirtschaftet die Kasse gut, so die Idee, kommt sie mit dem Geld aus. Reicht das Geld nicht, muss sie einen Zusatzbeitrag von ihren Versicherten erheben. Die Versicherten können später die Kasse wechseln - die Mechanik eines scheinbaren Wettbewerbs. Denn ob die Versichertenströme sich so lenken lassen, wie die Fonds-Konstrukteure sich das vorstellen, ist völlig ungewiss.

Wegen steigender Lohnzusatzkosten empört sich die Wirtschaft über den Fonds: Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Ludwig Georg Braun, sagte der "Bild"-Zeitung: "Die schon sicheren Beitragserhöhungen machen Arbeit teurer und vernichten Arbeitsplätze."