HAMBURG. Willkür, Lügen, Propaganda - der politische Streit um die elektronische Gesundheitskarte hat sich zur Gesundheitsmesse Medica in Düsseldorf zu einer regelrechten Schlacht ausgewachsen. Während die e-Card in den sieben Testregionen einem ungewissen Starttermin 2008 entgegenblickt, protestieren Ärzte und Patientenvereinigungen gerade dort. "Das ist eine Schnüffelkarte, um intime Patientendaten auf den Servern der Krankenkassen zu sammeln", sagte der Präsident der Freien Ärzteschaft, Martin Grauduszus, dem Abendblatt. Die Versicherten würden in die Irre geführt.

Nach einer Forsa-Umfrage sind jedoch die meisten Deutschen für die Karte. "Die Leute glauben fälschlicherweise, dass ihre Krankheitsdaten auf der Karte gespeichert werden. Dabei stehen auf der Karte nur Informationen über den Patienten wie Name, Krankenkasse und so weiter", so Grauduszus. Die Gesundheitskarte ist aber der Schlüssel zu einer neuen elektronischen Krankenakte. Dort sollen dann die Patientendaten lagern.

Der Hausarzt aus der Nähe von Düsseldorf befürchtet damit ähnliche Zwangsmaßnahmen des Gesundheitsministeriums wie bei der Gesundheitsreform. Ärzte werden gezwungen, die selbst verschuldeten Krankheiten der Patienten wie Erkrankungen nach Piercings den Kasse zu melden. Diese Praxis hatte auch der Chef der Techniker Krankenkasse, Norbert Klusen, zuletzt im Abendblatt angeprangert. Mit der Gesundheitskarte, warnt Grauduszus, könnten auch chronisch Kranke gegängelt werden, weil ihre Patientendaten eingesehen werden können: "Selbst verschuldet ist ja auch, wenn ein Diabetes-Patient seine Zuckerwerte nicht richtig im Griff hat. Das ist doch staatliche Willkür."

Die Krankenkassen beteuern, dass die Karte sicher sei, sensible Krankheitsdaten nicht zu neuen Risikogruppen und höheren Beiträgen führen. Außerdem glauben sie, den Kartenmissbrauch in Millionenhöhe eindämmen zu können. Elektronische Rezepte sollen die Abrechnung erleichtern. Doch die Test-Erfahrung zeigt, dass die Papierrezepte trotzdem vorerst bleiben.

Ärzte-Vertreter Grauduszus ärgert vor allem eine Propaganda um den medizinischen Nutzen der neuen Karte: Das Ministerium und die beteiligten Softwarefirmen dramatisierten den Nutzen der Karte im Notfall und verbreiteten und die rührselige Geschichte eines Jungen, der an einer Allergie leidet und den eine Biene sticht. Weil der Notarzt sofort die elektronische Gesundheitskarte des Jungen finden würde, könne der Kleine überleben. Grauduszus: "Wenn ein Kind nach einem Bienenstich in Lebensgefahr gerät, dann rette ich den und suche nicht nach der Gesundheitskarte."