Deutschland müsse die Afghanistan-Mission beibehalten, Lafontaine müsse man ernst nehmen, sagt Fischer im Gespräch mit Irene Jung.

ABENDBLATT: Haben Sie mal so eine Politiker-Gesten-Schulung gemacht? Handschraube, Fingerspitzen-Dreieck, Luftgriff?

JOSCHKA FISCHER: Nee, ich hatte nie eine Schulung.

ABENDBLATT: Aber Ihre Sprache ist mit der Zeit geschmeidiger geworden.

FISCHER: Ja, das geht gar nicht anders. In der Opposition können Sie drastischer und direkter formulieren. Aber wenn Sie Außenminister sind, wird jedes Wort auf die Goldwaage gelegt. Natürlich hat man weiter seine Umgangssprache, aber als Regierungsmitglied sprechen Sie nicht als Privatmensch, sondern für 82 Millionen Deutsche. Und richten sich wiederum an 60 Millionen Franzosen oder andere Nationen. Wenn Sie da direkt formulieren und nicht berücksichtigend oder festlegend, können Sie schnell einen Skandal produzieren.

ABENDBLATT: Wie bleibt man denn diplomatisch, wenn man einem Mann wie Milosevic trifft und ihm Sanktionen androht?

FISCHER: Es nützt ja nichts: Letztlich müssen Sie alles versuchen, ihn zu überzeugen. Und deshalb dürfen Sie ihn nicht beleidigen. Wenn's gar nicht mehr geht, bittet man um ein Vieraugengespräch, was ich getan habe, um ihm dann sehr klar die Alternativen darzulegen, dass er nicht gewinnen kann. Auch das hat damals leider nichts genützt.

ABENDBLATT: Ihr ehemaliger Weggefährte Jürgen Schreiber findet, Sie hätten plötzlich "mit einem fremdartigen Beamtenernst" gesprochen.

FISCHER: Das war nicht mein Weggefährte, das war ein Journalist, der dann und wann auftauchte. Ich habe sein Buch nicht gelesen, aber nach dem, was ich darüber höre, scheine ich ja Beziehungen gehabt zu haben - und sogar große Beziehungsenttäuschungen -, von denen ich gar nichts wusste.

ABENDBLATT: Wie schreibt man eine E-Mail an den UN-Generalsekretär? Geht auch "Hi Kofi"?

FISCHER: In offiziellen Schreiben ist es "Mr. Secretary General". Private Mails habe ich ihm nicht geschickt, aber wir haben uns manchmal Zettel zugeschoben mit "Dear Kofi" und "Dear Joschka". Einen von ihm hab ich mir extra aufgehoben: "Dear Joschka, you look so tired, do you need a cup of coffee?"

ABENDBLATT: Sie haben Clintons Außenministerin Madeleine Albright sehr geschätzt - und dann kamen Außenminister Colin Powell, im Hintergrund Donald Rumsfeld und Dick Cheney. Wie veränderte sich das Klima?

FISCHER: Mit Colin Powell verstand ich mich gut, wir haben bis heute ein freundschaftliches Verhältnis. Diese Fremdheit, die es dann auf der obersten Ebene gegeben hat zwischen Bundeskanzler und Präsident, gab es bei uns nicht, trotz aller Auseinandersetzungen sind wir gesprächsfähig geblieben. Das war mit Rumsfeld und mit Cheney anders. Als ich Cheney traf, waren wir sehr gegensätzlich, wir haben gar nicht viel geredet, aber es gibt ja auch so etwas wie emotionale Eindrücke. Nach dem 11. September habe ich sehr schnell realisiert, dass es sich in Richtung Irak zu entwickeln drohte, und hielt das für einen schweren Fehler als Antwort auf die Krise, die der 11. September ausgelöst hatte.

ABENDBLATT: Sie hatten den Vorsitz, als Powell im März 2003 vor den Vereinten Nationen erklärte, Saddam Hussein habe ganz sicher Massenvernichtungswaffen. Haben Sie ihm damals geglaubt?

FISCHER: Wir waren anderer Meinung. Wir haben die Interpretation der Fakten, die er vortrug und die ja zum Teil auf unsere Informationen zurückgingen, nicht geteilt. Wir waren der Meinung, dass die Angaben eines Überläufers namens Curveball, der damals in der Obhut des BND war, nicht ausreichten. Es konnte auch sein, dass er einfach lügt. So wurde es den Amerikanern auch übermittelt, aber dieser Teil der Information wurde dort nicht dargestellt. Aus unserer Sicht sprach alles für Waffeninspektionen, aber nicht für einen Krieg.

ABENDBLATT: Bush empfand Schröders Nein zum Irak-Krieg als illoyal. Müssen wir heute so loyal sein und uns weiter an der "Operation Enduring Freedom" (OEF) in Afghanistan beteiligen?

FISCHER: Das hat mit Loyalität nichts zu tun, das ist eine Frage unserer eigenen Sicherheit. Im Irak war es die merkwürdige Form von Loyalität, mit der Blair und Aznar dazu beigetragen haben, dass Amerika in diese fast ausweglose Situation geraten ist. Diese Form von Loyalität finde ich falsch. Wenn ein Freund dabei ist, etwas sehr Gefährliches zu tun, ist es Freundespflicht zu sagen: "Tu es nicht", und nicht: "Wir unterstützen dich, weil wir loyal sein wollen". Zu heute: Es ist nicht möglich, das "gute" Isaf- und das "böse" Enduring Freedom-Mandat voneinander zu trennen. Wer die Lage in Afghanistan kennt, weiß das. Meine Position ist da bekanntlich eine andere als die meiner Partei. Ich meine, wir müssen die Mandate verlängern, im eigenen Interesse.

Es gibt Kritik an der amerikanischen Vorgehensweise bei OEF, die ich teile. Aber als die Kanadier in Südafghanistan unter Druck geraten sind, hat Deutschland es abgelehnt zu helfen. Hätten wir auch nur mit bescheidenen Mitteln geholfen, hätten wir heute andere Möglichkeiten, auf die Amerikaner einzuwirken. Im Übrigen: Unsere deutsche Bilanz, gerade beim Polizeiaufbau in Afghanistan, ist alles andere als vorzeigbar.

ABENDBLATT: Frankreichs Präsident Sarkozy sucht die Nähe der USA, ist sich selbst aber offenbar der liebste Bündnispartner, wie er etwa beim Rüstungsdeal mit Libyen gezeigt hat. Was bedeutet das für Angela Merkel?

FISCHER: Das müssen Sie Frau Merkel fragen. Ich sehe die Neupositionierung erst mal positiv. Es ist zu begrüßen, dass Europa nicht mehr aufgrund der französischen Haltung in dem Zwiepalt zwischen einer mehr gaullistischen und einer transatlantischen Orientierung ist. Ich erinnere daran, dass Jacques Chirac früher sogar Atombomben auf Mururoa zünden ließ. Verglichen damit ist Sarkozy doch schon sehr moderat.

ABENDBLATT: Mit Oskar Lafontaine verband Sie Freundschaft, wie Sie in Ihrem Buch schreiben. Heute fordert er bedingungslosen Abzug aus Afghanistan und den Schutz deutscher Frauen und Arbeiter vor Zuwanderern. Ist er noch ernst zu nehmen?

FISCHER: Ja, leider! Er verfügt über großen Rückhalt, ich wünschte, man müsste ihn nicht ernst nehmen. Er versucht, am rechten Rand zu wildern. Das ist eine verantwortungslose Politik. Aber dazu müssten Sie Herrn Gysi oder Herrn Bisky interviewen. Ich hatte nach seinem Rücktritt keinerlei Kontakt mehr zu ihm, habe ihn nur ein- oder zwei Mal in einer Fernsehsendung getroffen. Er verschwand von gleich auf jetzt, und das war's.

ABENDBLATT: An der Agenda 2010 wird herumgebastelt. Was möchten Sie davon erhalten?

FISCHER: Bleiben müssen der Grundsatz "Fordern und fördern" und die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe. Ansonsten sind die Dinge nicht in Stein gemeißelt. Ich finde, Franz Müntefering hat recht: Es ist nicht klug, den Unternehmen wieder die Möglichkeit zu geben, dass ältere Arbeitnehmer in die zweijährige Arbeitslosigkeit gedrückt werden und in den Vorruhestand, um sie loszuwerden. Dass man mit 50 zum alten Eisen gehört, ist ein Skandal. Auf der anderen Seite macht es keinen Sinn, das ALG II und die Hilfen so knapp zu bemessen, dass die Leute ihre Altersrückstände aufbrauchen müssen. Denn in der Altersarmut muss der Staat ja auch wieder in die Ersatzleistung eintreten. Und vor allem muss das Fördern mehr in den Vordergrund gestellt werden. Der Verlust eines Arbeitsplatzes muss dazu führen, dass man schnell einen neuen bekommt.

ABENDBLATT: Sie haben eine eigene Consulting-Firma gegründet. Wen beraten Sie da in was?

FISCHER: Och, das ist meine Plattform. Alles, was ich so mache, wird darüber abgewickelt, eine kleine Personengesellschaft. Da muss ich auch keine Bilanzpressekonferenzen geben.