BERLIN/BOCHUM. Der Regisseur Peter Stein hat heftige Kritik an den heute gängigen Inszenierungsformen an den deutschen Bühnen geübt. "Inzwischen kann ja am Theater jeder machen, was er will, aber in der ganzen Welt wird das deutsche Regietheater inzwischen verlacht", sagte Stein gestern in Berlin. Stein, der bis Mitte der 80er-Jahre die Berliner Schaubühne leitete, nimmt am Internationalen Literaturfestival in der Hauptstadt teil. Der "leidenschaftliche öffentliche Vorleser" liest Tschechows Erzählung "Eine langweilige Geschichte".

Das Katastrophale sei, so Stein weiter, dass in den vergangenen 15 Jahren aus dem deutschen Theater keine Schauspielernamen mehr hervorgegangen seien, "die sich auch nur annähernd messen können mit denen, die es davor gegeben hat", meinte der 70-Jährige. "Ich bin mir absolut bewusst, dass meine Generation diese Entwicklung losgetreten hat, ich selber auch, aber es ist irgendetwas geschehen, was ich nicht ganz verstehe."

Heute hätten die Schauspieler "doch Angst, dass sie mit Scheiße beschmiert werden oder an der Rampe eine halbe Stunde lang wichsen müssen". Er sage den jungen Regisseuren immer wieder: "Seid vorsichtig: Wenn das unkonventionelle Theater - das Schönste, was es gibt - zur Konvention wird, seid ihr in einer Falle." Stein warnte: "Dem Theater bläst der Wind ins Gesicht. Wir müssen uns doch gegen eine vollständige Verdummungsstrategie in der Gesellschaft stemmen." Das könne nicht dadurch geschehen, dass sich der Regisseur am Theater beispielsweise als Autor über Shakespeare stellt. Insofern teile er die harschen Worte seines Kollegen Claus Peymann über "Regiemarionetten" und das drohende Ende der deutschen Theaterkultur.

Peymann hatte am Rande der Ruhr-Triennale kritisiert: "Am Theater fehlt es heute vielen Regiemarionetten an Mut zu psychologisch ausgefeilten Charakteren und sorgfältig erzählten Geschichten." Stattdessen biederten sie sich mit heruntergeratterten Texten an die Sehgewohnheiten des Fernsehens an. "In 55 Minuten ist eine ,Emilia Galotti' nicht zu spielen, und ein verrappter ,Othello' ist kein ,Othello'." In dem Tempo könne sich niemand mit der Psyche der Figuren befassen. "Qualität ist Zeit, Stille, eine echte Geschichte und politische Subversivität." Wenn Regisseure dies aus Mangel an Selbstbewusstsein aufgäben, gäben sie das Wesentliche des Theaters auf. "Von den 300 Uraufführungen pro Jahr gehört die Hälfte in den Papierkorb, unerbittlich", sagte Peymann.