Der Autor, der sein Buch schon 750 000-mal verkaufte, erhält immer noch Morddrohungen.

Berlin. Dass er einen Bestseller geschrieben hat und inzwischen vermutlich ein wohlhabender Mann ist, kann Roberto Saviano nicht wirklich freuen. Er erhält immer noch Morddrohungen, ist deshalb nie ohne Polizeischutz unterwegs, und seine völlig verängstigten Eltern haben angeblich den Kontakt zu ihm abgebrochen. Keine Frage: Der Preis, den der Neapolitaner für seinen Erfolg bezahlt, ist hoch. Zu hoch für ein Buch, das von einer kriminellen Organisation zwar zu Recht als Angriff verstanden worden ist, das aber darüber hinaus doch auch Literatur sein will.

Über Roberto Saviano und sein jetzt auch auf Deutsch vorliegendes Buch über die Camorra ("Gomorrha - Reise ins Reich der Camorra", Carl Hanser Verlag München, 21,50 Euro) ist in den zurückliegenden Monaten viel geschrieben worden. Gestern kam der Autor zu einer großen Pressekonferenz nach Berlin, heute wird er sich dort im Rahmen des Literaturfestivals zum zweiten Mal öffentlich zeigen. Saviano sei ein Mann "von unvergleichlichem Mut", hat Angelo Bolaffi, der Leiter des Italienischen Kulturinstituts in Berlin, gestern gesagt, der neben dem Hanser Verlag zu Savianos Berliner Gastgebern gehört. Und Bolaffi hat Solidarität mit einem Schriftsteller eingefordert, der - wie vor ihm Salman Rushdie - das "größtmögliche Risiko" eingegangen sei.

Roberto Saviano ist ein schmaler Intellektueller, der mit fester Stimme Auskunft über seine Motive gibt. Er habe das Stillschweigen angesichts der Verbrechen nicht länger ertragen, sagte der 28-Jährige und räumte im gleichen Atemzug ein, dass auch er sehr wohl in seiner Kindheit und Jugend den Bann der Camorra-Bosse gespürt habe. Den epischen Zauber, der die Paten scheinbar umgeben habe. "Ich wollte schreibend ins Herz dieser Dinge vordringen und mich dabei zu erkennen geben, denn ich bin ja aus demselben Fleisch und Blut gemacht wie sie."

Man weiß inzwischen, dass Saviano zunächst ganz praktisch ins Herz der Camorra vorgedrungen ist: Als Hafenarbeiter hat er mitgeholfen, die Schmuggelware der Camorra zu löschen, danach ist er mit ihren Dealern durch die verrotteten Vororte von Neapel gezogen, und schließlich hat er sich Zutritt zu den Clans verschafft. Anderes hat er aus Verhörprotokollen gefiltert, aus Ermittlungsakten destilliert. Alles in allem hat er sechs Jahre an seinem Buch gearbeitet.

Dass sie auf einem hochexplosiven Manuskript saßen, haben die Lektoren des Mailänder Mondadori Verlags zunächst nicht geahnt. Sie haben Savianos Buch mit einer Startauflage von 5000 Exemplaren herausgebracht. Es wurde: die spektakulärste Neuerscheinung des Jahres 2006.

Inzwischen ist "Gomorrha" weltweit 750 000-mal verkauft worden. In Deutschland gewann das Buch mit dem Blutbad, das die Mafia Mitte August in Duisburg anrichtete, an ungeahnter Brisanz. Saviano meldete sich unmittelbar danach mit der für viele schockierenden Feststellung zu Wort, dass die kampanische Camorra (die sich selbst "il sistema" nennt, das "System") und die kalabrische 'Ndrangheta seit 20 Jahren in Deutschland ihr Geld waschen; unter anderem hätten die beiden mafiosen Organisationen die ostdeutsche Bauwirtschaft in ihrem Würgegriff. Und nicht nur das. Zu Hause, in Neapel, könne man Halbwüchsige auf der Straße skandieren hören: "Stuttgart gehört uns, Dortmund gehört uns . . ."

Saviano hat in Berlin seine Behauptung wiederholt, Deutschland sei das Gelobte Land der Camorra, weil man sie hier - aus Naivität - nicht groß belästige. Bei Treffen in Prag und Leipzig hätten die Clans ihre Einflusszonen in Deutschland unter sich aufgeteilt, Rostock sei der Hafen, über den sie ihre Kokain-Geschäfte abwickelten. "Die Mafia ist ein deutsches Problem!"