Deutschland ist das Land, in dem Kammmolche die Fertigstellung einer Autobahn blockieren können (A 49 Kassel Richtung Gießen). In dem Hirschkäfer für 70 000 Euro umgesiedelt werden, bevor eine Flughafenhalle gebaut werden darf (Flughafen Frankfurt/Main).

Deutschland ist das Land, in dem Kammmolche die Fertigstellung einer Autobahn blockieren können (A 49 Kassel Richtung Gießen). In dem Hirschkäfer für 70 000 Euro umgesiedelt werden, bevor eine Flughafenhalle gebaut werden darf (Flughafen Frankfurt/Main). In dem der Ausbau von Gewerbeparks und Messehallen an Feldhamsterkolonien scheitert (Mainz, Mannheim).

Jetzt hat eine Fledermaus - die Kleine Hufeisennase - in Dresden geschafft, was Juristen, Gutachter, Bürgerinitiativen, Demonstrationen und Verfassungsbeschwerden nicht erreichten: einen vorläufigen Baustopp für die geplante Dresdner Waldschlösschenbrücke, die die Unesco-geschützten Elbtal-Auen durchschneiden würde.

Man kann den Wert, den die deutsche Rechtsordnung bedrohten Tieren und Pflanzen, Feuchtgebieten und anderen Biotopen zumisst, grotesk finden. Man kann ihn auch angemessen finden in einem dicht bevölkerten Industrieland, das seine Naturressourcen schützen will. Hamburger erinnern sich an die Debatte um das Mühlenberger Loch: Damals ging es um Airbus oder Löffelente. In Dresden geht es nun gar nicht um Arbeitsplätze. Dort ist der seltene Fall eingetreten, dass die Interessen der Fledermaus dem Bürgerwillen selbst in die Quere kommen.

Und Millionen Menschen, nicht nur in Sachsen, dürften ihr dafür noch dankbar sein. Denn der seit 12 Jahren tobende Streit um die Waldschlösschenbrücke hat Dresden in eine verfahrene Lage gebracht. Tourismus, Natur- und Kulturschutz, Fördermittelwerbung und Verkehrsplanung: In dieser Stadt scheint das alles absolut unvereinbar zu sein.

Die Landesregierung unter Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) und ein 2005 von CDU und FDP initiierter Bürgerentscheid wollen partout diese Brücke: Sie sei zwingend nötig für die Verkehrsströme und zur Entlastung des Blauen Wunders, der bisherigen Elbquerung im Osten der Stadt. Nur: Dass die Mehrheit der Dresdner für die Brücke sei, hat der Bürgerentscheid gar nicht gezeigt. Zwar kam die erforderliche Zweidrittelmehrheit zustande (67,9 Prozent), aber nur 50,8 Prozent der Dresdner beteiligten sich.

Vor allem wussten die Abstimmenden nicht, dass ein Ja zur Brücke automatisch das Aus für den Welterbe-Status der Elbtal-Auen bedeuten würde, sagen die Brückengegner. Die Umweltverbände und der Dresdener Stadtrat wollen stattdessen einen Tunnel. Land und Oberbürgermeister haben diese Alternative nie in Erwägung gezogen. Und selbst wenn: Jetzt müsste der Bürgerentscheid pro Brücke umgesetzt werden, schreibt die Sächsische Gemeindeordnung vor. Auch wenn die Elbtal-Aue dann den Unesco-Status als Weltkulturerbe verliert. Klingt komisch, ist aber wahr: Vor diesem Fiasko hat allein die Fledermaus Dresden bewahrt.

Das Dresdener Verwaltungsgericht musste dem Eilantrag der Naturschutzverbände Grüne Liga, Nabu und BUND entsprechen, weil die Brücke den Lebensraum der geschützten Hufeisennase schädigen kann . Schon leise Zweifel machten eine Umweltverträglichkeitsprüfung nach der europäischen Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie erforderlich, so die Richter aus Dresden. Und bisher wisse man nicht genug über die Kleine Hufeisennase. Prognosen zu ihrem Verhalten seien bisher nicht hinreichend begründet und teilweise widersprüchlich.

Die rätselhaften Lebensumstände des Tiers verschaffen der Stadt, den Parteien und dem Land einen letzten Aufschub, noch mal Luft zu holen und nach Alternativen zu suchen. Mit fast pastoraler Inbrunst beschwor Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) die Kombattanten, eine Lösung zu finden, die "der wunderbaren Schönheit des oberen Elbtals, dem Weltkulturerbetitel und zugleich den Verkehrsbedürfnissen der Stadt" gerecht werde. Er bat den Ministerpräsidenten Milbradt "geradezu flehentlich", sich an der Kompromisssuche zu beteiligen. Vielleicht wäre es keine schlechte Idee, wenn aus Berlin weitere helfende Schubse kämen. Etwa von der Kanzlerin.

Sonst werden in der Elbtal-Aue womöglich auch noch schützenswerte Wildkatzen und Hamster gesichtet.