Als der 47-Jährige seine erste Tat zugab, waren die Ermittler überrascht: Er hatte sie mit 15 an einer Schülerin in der DDR begangen - wo man dies als Selbstmord zu den Akten legte. Warum hasst er Frauen so sehr?

Berlin/Hof/Plauen. Seine Vermieter wollen ihn nie gekannt haben. Man wohne hier allein im Haus, sagen sie aufgebracht, und das ist nicht mal gelogen, weil Volker E. seit Monaten 60 Kilometer entfernt in Bayreuth in Untersuchungshaft sitzt.

Seine Spuren wurden in Hof gründlich getilgt. Die schweren dunklen Möbel sind ausgeräumt, die Blümchentapete klebt nicht mehr an den Wänden, und der alte Audi 80, der früher vor dem zweistöckigen weißen Haus parkte, ist auch aus der Oelsnitzer Straße verschwunden. An einen Freund verschenkt, denn Volker E. (47) hat nach seiner Festnahme schnell gewusst, dass er kein Auto mehr brauchen wird.

Sechs Frauenmorde hat er gestanden. In 13 weiteren Fällen ermitteln die 22 Beamten der Sonderkommission "Fernfahrer" auf Hochtouren, weil die Tatumstände ähnlich gelagert sind. Es ist ein Puzzle. "Wir müssen", sagt der Sprecher des oberfränkischen Polizeipräsidiums, "Volker E.s Leben über Jahre hinweg aus vielen winzigen Einzelteilen zusammenfügen, um herauszufinden, wann er wo gewesen sein könnte."

Es geht um fünf tote Frauen in Deutschland, vier in Frankreich, zwei in Spanien, eine in Tschechien, eine in Italien. Frauen, die erwürgt wurden und die noch etwas gemeinsam hatten: Alle waren Prostituierte.

Dass E. ein Serienmörder ist, scheint erwiesen. Für seinen ehemaligen Arbeitgeber ist er ein "Massenmörder", ein "Monster". Jetzt. Früher ist Volker E. für Dirk Menda ein verlässlicher Mitarbeiter gewesen. Sechs Jahre lang hat Menda dem Mann seine teuersten Trucks anvertraut - "Silo-Lkw fahren", sagt er, "das kann nicht jeder." Der Transportunternehmer ist sichtlich betroffen. Und wütend. Weil er sich in einem Menschen derart getäuscht hat. "Andererseits", sagt Menda, "hatte der ja keine rote Rundum-Leuchte auf dem Kopf!"

Volker E., meint er, sei ein unauffälliger Typ gewesen. Ein Einzelgänger. Unverheiratet. "Aber damit war er keine Ausnahme, das trifft auf andere Fahrer von mir auch zu." Wenn er es sich genauer überlege, sagt Menda und schiebt grimmig seinen "Ich bin glücklich"-Kaffeebecher hin und her, dann sei E. eher "der Duckmäuser" gewesen. "Wenn er mal einen Fehler gemacht hatte und ich ihn etwas grober angesprochen habe, hat er gleich gesagt: ,Na, dann musst du's mir vom Lohn abziehen!' Oder: ,Du musst mich entlassen!'"

Für Alexander Schmidtgall ist Volker E. "eigentlich" ein höflicher Mensch. "Wenn er hier sitzen würde", sagt der Rechtsanwalt aus Kulmbach bei einem Treffen in Berlin mit nachdenklichem Blick durchs KaDeWe-Cafe, "würde er nicht auffallen." Schmidtgall hat sich bereit erklärt, über E. zu sprechen. Er will verhindern, dass die Medien seinen Mandanten zum "Monster" machen. Schmidtgall hat auch darauf gedrungen, dass Norbert Nedopil das psychiatrische Gutachten erstellt. Nedopil gilt als Koryphäe auf diesem Gebiet. Keiner hat die Abgründe im Leben deutscher Triebtäter gründlicher ausgeleuchtet als der Chef der Forensischen Abteilung an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität.

Nedopil soll dem Gericht erklären, was einen Mann dazu treibt, Frauen beim Sexualverkehr bis zur Bewusstlosigkeit zu würgen, sie anschließend zu erhängen, ihnen zur Erinnerung ein paar Haare abzuschneiden und sie dann noch mit einer Sofortbildkamera zu fotografieren. Dirk Menda ahnt schon böse, was dabei herauskommen wird: "Der hatte 'ne schlimme Kindheit, kriegt ein paar Jahre und ist dann wieder draußen!" Starke Beunruhigung schwingt in dieser Bemerkung mit, die irrationale Sorge, Volker E. könnte irgendwann wieder vor der Tür stehen.

Menda ist für die Kriminalpolizei im November 2006 der wichtigste Mann gewesen. Nachdem man die 20 Jahre alte bulgarische Prostituierte Miglena Petrova Rahin tot an der spanischen Mittelmeerautobahn gefunden und den Silo-Lkw mit dem Plauener Kennzeichen auf dem Film einer Autobahn-Überwachungskamera entdeckt hatte, legte Menda den Beamten E.s Fahrtrouten vor. Worum es ging, wusste er zu diesem Zeitpunkt noch nicht. "Die haben mir nur gesagt: ,Gehen Sie mal vom Schlimmsten aus!'" Das Schlimmste, was Menda sich damals vorstellen konnte, war, dass sein Mann Fahrerflucht begangen hatte.

Volker E. ist am 17. November in einer Lkw-Waschanlage in Köln-Wesseling verhaftet worden, als er dabei war, seinen Truck zu reinigen, mit dem er für eine Heilbronner Firma PVC-Granulat nach Spanien gefahren hatte. "Endlich habt ihr mich geschnappt", soll er bei seiner Festnahme gesagt haben. Und: "Ich konnte einfach nicht aufhören zu töten."

Schmidtgall bestätigt das. Sein Mandant, sagt er, sei damals "froh" gewesen, sich offenbaren zu können. Und deshalb hält es der Rechtsanwalt auch für unwahrscheinlich, dass man E. einen der 13 Morde nachweisen kann, die von der Soko "Fernfahrer" noch bearbeitet werden und den Prozessbeginn verzögern. E. streitet ab, diese Taten begangen zu haben. "Und warum", fragt Schmidtgall, "sollte mein Mandant lügen, nachdem er schon sechs Morde gestanden hat?"

E. hat zugegeben, zwischen 1999 und 2006 je einmal in Bordeaux, Girona und Reims und zweimal in Figueras gemordet zu haben. Noch sind nicht alle Fotos, die er von den Leichen der Frauen in seinem Truck gemacht hat, eindeutig zugeordnet. Man warte noch auf Akten aus Spanien und Frankreich, sagt Alexander Schmidtgall.

Das Geständnis des sechsten Mordes hat die Kripo überrascht.

Aus Angst, nach Spanien ausgeliefert zu werden, hat Volker E. nämlich zugegeben, 1974 in Plauen seine Mitschülerin Silvia Unterdörfel erhängt zu haben. Eine Tat, die von den DDR-Behörden unerklärlicherweise unter "Selbstmord" abgelegt wurde. Für die Eltern hat E.s Geständnis den Schmerz von damals noch einmal aufgewühlt. Sie sind trotzdem irgendwie erleichtert. "Wir wissen jetzt", hat die Mutter nach dem ersten Schock gesagt, "dass uns keine Schuld trifft."

Volker E. hat damals mit seinen Eltern und seinen beiden jüngeren Geschwistern in Plauen-Reusa gewohnt. In der Johannes-R.-Becher-Straße, die man nach der Wende in Wilhelm-Goette-Straße umbenannte. Im Haus Nummer zwei. Unterdörfels wohnten drei Häuser weiter. Weil E. 15 Jahre alt war, als er diesen Mord beging, wird sein Prozess vor der Jugendstrafkammer des Hofer Landgerichts stattfinden. Darauf haben sich die Vertreter der an den Ermittlungen beteiligten Länder Deutschland, Spanien und Frankreich bei einer Koordinierungssitzung der europäischen Justizbehörde Eurojust in Den Haag geeinigt. E. droht eine lebenslange Haftstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung.

Polizeilich erfasst wurde er übrigens erstmals 1978. Damals hat man ihn wegen versuchter Vergewaltigung zu anderthalb Jahren Gefängnis verurteilt. Als er wieder draußen war, starben seine Eltern. Erst die Mutter an Brustkrebs, zehn Tage später der Vater an Nierenversagen. Volker E., inzwischen 21 Jahre alt, beantragte das Sorgerecht für seinen Bruder Frank und seine Schwester Sabine. Aber das lehnten die DDR-Behörden unter Hinweis auf seine Vorstrafe ab. Im August 1988 stand E. wieder vor Gericht: Er hatte in Plauen zwei Frauen angefallen und bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt. Auch diese beiden Frauen waren jung und schön, und sie hatten lange Haare . . .

Schmidtgall beschreibt seinen Mandanten als mittelgroß und dünn, "fast hager", mit schmalem Gesicht, dunkelblonden Haaren und grauen Augen. Als akkuraten Menschen, der seine Rechnungen und Versicherungen immer überpünktlich bezahlt habe. E., sagt Schmidtgall, habe auch Freundinnen gehabt. Es gebe mindestens drei, von denen er wisse. "Aber da muss noch irgendetwas in ihm drin sein . . . " Die Fotos, die E. von den toten Frauen gemacht habe, seien schrecklich, die Kommentare, mit denen er diese Bilder versehen habe, einfach furchtbar . . .

Schmidtgall fährt einmal pro Woche von Kulmbach aus nach Bayreuth, um seinen Mandanten zu besuchen. Sonst kommt keiner mehr. E.s Schwester ist einmal da gewesen, sein Schwager hat ihn wissen lassen, dass er sich getrost einen Strick nehmen könne.