Die Diskussion um Senait Mehari, die wohl doch nicht als Kindersoldatin gekämpft haben soll, entwickelt sich immer mehr zur journalistischen Kontroverse.

Berlin. War sie Kindersoldatin oder ein "Kind des Krieges"? Ist sie Opfer oder Lügnerin? Eines steht fest: Zwischen die Fronten ist Senait Mehari ganz gewiss geraten. Die Frage, ob die aus Eritrea stammende Sängerin und Autorin, die mit ihrer 2004 erschienenen Lebensgeschichte "Feuerherz" einen Bestseller landete und sich seither in Talkshows und diversen Menschenrechtsorganisationen gegen Missbrauch von Kindern in Kriegsgebieten engagiert, die Wahrheit über ihre Vergangenheit gesagt hat, beschäftigt seit einem Beitrag des Hamburger Medienmagazins "Zapp" (NDR) vom vergangenen Mittwochabend die Öffentlichkeit.

"Zapp" hatte Teile der Autobiografie angezweifelt, in der Mehari von einer grausamen Kindheit im eritreischen Bürgerkrieg der beginnenden 80er-Jahre berichtet, von Krankheiten, Hunger, Gewalt, militärischem Drill. Als Zeitzeugen ließ das Magazin Eritreer in Stockholm und Frankfurt vor der Kamera zu Wort kommen, ehemalige Weggefährten Meharis, die ihre Berichte für Falschdarstellungen erklärten. Auf die Frage, ob sie Kindersoldatin sei, antwortet Mehari: "So würde ich mich nicht bezeichnen. Ich bin ein Kind des Krieges."

Nach Ausstrahlung des "Zapp"-Berichtes war das Echo riesig. Und es bestätigte die Platzierung der Geschichte in einem Medienmagazin: Die Debatte um Mehari, die in der nächsten "Zapp"-Ausgabe am kommenden Mittwoch fortgesetzt werden soll, entwickelt sich auch zur journalistischen Kontroverse. "Die miesen Lügen der schönen Sängerin", schrieb der "Berliner Kurier" empört. "Ganz cool an der Wahrheit vorbei", nannte die "Süddeutsche Zeitung" den Vorgang. Aber es gab auch andere Stimmen: "Von wegen Skandal", titelte die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" am Freitag und nennt den NDR-Beitrag "zynisch", der versuche "Senait Meharis Glaubwürdigkeit mit dem Hinweis zu erschüttern, dass sie nicht an der Front kämpfen musste und auch niemanden getötet habe". Die "FAZ", die erst wenige Tage zuvor zum Kindersoldaten-Gedenktag unter der Überschrift "Geschlagen, missbraucht, verwahrlost" ausgerechnet die Geschichte Meharis nacherzählt hatte, zitiert unter anderem Klaus Fricke, Lektor in Meharis Buchverlag Droemer Knaur, der die von "Zapp" präsentierten Zeitzeugen mit den Worten kommentiert: "Ich habe den Eindruck, dass da eritreische Patrioten besorgt um das Ansehen ihres Landes sind und zum Gegenangriff ausholen." Den Gegenangriff sieht "Zapp"-Chefredakteur Kuno Haberbusch auf einer ganz anderen Seite. "An unseren Zeitzeugen ist nichts Geheimnisvolles", erklärt Haberbusch. "Sie sind nicht anonym, auch die ,FAZ"-Kollegin hätte gern die Namen von uns haben können. Aber man fragt sich doch: Alle Medien haben seit Jahren die Geschichte von Senait Mehari erzählt. Aber es hat offenbar nie ein Journalist nachrecherchiert. Das ist natürlich jetzt peinlich."

Hübsche Opfer verkaufen gut

Ein Vorwurf, den sich all jene, die ohne Skepsis über die "Kindersoldatin" geschrieben haben, wohl gefallen lassen müssen. Verleitet ein so spektakuläres Schicksal eines zudem hübschen Opfers wie Mehari zu blinder Betroffenheit? Schicksalsgeschichten wie ihre sind Selbstgänger: "Dschungelkind" von Sabine Kuegler, "Wüstenblume" und "Schmerzenskinder" von Waris Dirie. Alles Bestseller.

Die Vorwürfe rufen Erinnerungen an den Skandal um das Buch "Bruchstücke" hervor, in dem Bruno Dösseker unter dem Namen Binjamin Wilkomirski über Kindheitserlebnisse in Auschwitz berichtete. Drei Jahre nach der Veröffentlichung entpuppten sich die Erlebnisse als erfunden. Kuno Haberbusch fordert Selbstkritik von den Kollegen: "Die Medien müssen sich fragen: Wieso haben sie Senait Mehari wie selbstverständlich geglaubt?" Der Verlag Droemer Knaur beantwortet diese Fragen mit einem offiziellen Statement: "Wir haben keinen Grund, an der Darstellung unserer Autorin zu zweifeln", erklärte Pressesprecherin Susanne Klein. "Dass Menschen den grausamen Bürgerkrieg in Eritrea unterschiedlich erlebt und verarbeitet haben, ist nicht erstaunlich. Uns verwundert, dass sich eine renommierte Sendeanstalt wie der NDR in diesem Zusammenhang instrumentalisieren und unsere Autorin als Lügnerin verleumden lässt." Mehari war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

\* Infos: Senait Mehari: Feuerherz, Knaur Verlag.