Ludwig Erhard liebte den Kanzlerbungalow, Konrad Adenauer meinte, der Architekt verdiene zehn Jahre Gefängnis. Ein amüsantes Buch über die Kanzler und ihre Ämter.

Berlin. Der Schmerz ist kurz, die Freude währet ewig", soll Ludwig Erhard böse gesagt haben, als er das Kanzleramt am 30. November 1966 nach einer kurzen Amtszeit von nur drei Jahren und sechs Wochen verließ. Demontiert von der eigenen Partei, nach quälenden letzten Monaten, die sein Nachfolger Kurt Georg Kiesinger wenig geschmackvoll als "Auseiterungsprozess" beschrieb.

Verbittert musste Erhard natürlich auch den Bonner Kanzlerbungalow räumen. Das Haus, das sein Lieblingsarchitekt Sep Ruf 1963 entworfen und eingerichtet hatte. Transparent, funktional, ganz im Bauhaus-Stil Mies van der Rohes. Der nach außen eher barocke Erhard hatte das Haus geliebt, der äußerlich eher nüchterne Kiesinger saß darin wie in einem fremden Leben.

Eines der amüsantesten Fotos aus dem prachtvollen Bildband "Die Bundeskanzler und ihre Ämter" hält einen Besuch von Udo Jürgens bei den Kiesingers fest. Wie Besucher sitzen Marie-Luise Kiesinger und Panja Jürgens auf dem weißen Ledersofa aus der teuren Miller-Kollektion, das Handtäschchen artig auf dem Glastisch abgestellt. Der Kanzler selbst versucht, sich leger zu geben, darf sich aber kaum bewegen, weil er sonst Gefahr läuft, mit dem Sessel hintenüberzukippen. Über dem Sofa sieht man eine gotische Schnitzerei, die der Hausherr zum Zwecke der Gemütlichkeit aufgehängt hat.

Was für Bilder! Ein melancholischer Konrad Adenauer mit Stock und Homburg beim Abschied aus dem Palais Schaumburg, ein aufgekratzter Willy Brandt, der sich von seiner Frau die Fliege binden lässt, ein Helmut Schmidt, der sich mit Valery Giscard dEstaing in seiner (erstaunlichen!) Hausbar einen hinter die Binde gießt. Diese Bilder aus den Gründer- und Aufbaujahren der Bundesrepublik sind die schönsten, dann kommt die Farbfotografie, alles wird ein bisschen langweiliger. Egal, ob es sich um Helmut Kohl vor seinem Aquarium handelt, um Gerhard Schröder im Fachgespräch mit Markus Lüpertz und Udo Lindenberg oder Angela Merkel vor dem Kanzler-Airbus.

Apropos Merkel: Eigentlich war das Buch bereits für Herbst 2005 angekündigt, aber der Wechsel im Kanzleramt hat die Herausgeber - das Bundeskanzleramt und die Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland - dazu bewogen, den Erscheinungstermin zu verschieben. Das letzte Foto zeigt nun Angela Merkel mit Jacques Chirac, beim Handkuss.

Insgesamt gibt es etwa 500 Bilder und dazu Geschichten, die man noch nie gehört oder schon vergessen hatte. So ließ Adenauer bei Staatsbesuchen rasch das Foto des jeweiligen Gastes in seinem Büro aufstellen und tat dann so, als hätte es dort immer schon gestanden. Präsident Eisenhower, der ihm einst ein selbstgemaltes Bild verehrt hatte, log Adenauer ohne mit der Wimper zu zucken vor, er schaue während seiner Mittagspause so gern darauf. Das entspanne ihn! Vermutlich, wenn er auf der weißen Gartenliege lag, die auf einem der Fotos zu sehen ist.

Ludwig Erhard verbrachte seine Mittagspause lieber zu Hause mit seiner Frau Luise. Das dauerte offenbar immer genau zwei Stunden. Von eins bis drei. Dass sich die beiden "Lu" und "Lulu" nannten, hatte man auch nicht gewusst. Und von der "Abnutzungs"-Strategie hatte man, ehrlich gesagt, auch noch nichts gehört. Die hat Kurt Georg Kiesinger erfunden, der übrigens das Hubschrauberfliegen einführte. Man kenne ja seine Methode, hat der Schwabe halb selbstgefällig, halb drohend gesagt: "Ich stelle die Leute nicht abrupt vor Fragen, sondern ich komme immer wieder damit!"

Von Willy Brandt gibt es natürlich viele "Klassiker": Brandt in Warschau, Brandt in Erfurt, Brandt mit Böll und Grass. Ein weniger bekanntes Foto zeigt Willy Brandt mit seiner Frau Rut beim Winterspaziergang auf dem Bonner Venusberg. Der Fotograf kriegt auch den Mann hinter Brandt mit aufs Bild. Einen Typ mit Brille und Schiebermütze, der sich die heitere Szene aus der Distanz anschaut: Günter Guillaume. Brandt hat in Erhards Kanzlerbungalow übrigens nie gewohnt. Vielleicht, weil er Adenauers Meinung war ("Der Architekt verdient zehn Jahre Gefängnis!"), aber er ließ wenigstens Kiesingers Möbel wieder hinauswerfen. Erst Helmut Schmidt wusste Sep Rufs Bauhaus-Architektur wieder zu schätzen. Dafür konnte er das von Brandt in Auftrag gegebene neue Kanzleramt nicht leiden. Den Garten bezeichnete er gern als "Mischung aus Westwall und Heldengrab".

Kurz gesagt: "Die Bundeskanzler und ihre Ämter" ist ein außerordentlich unterhaltsames Buch über die Macht und die von ihr gewählte Architektur. Jeder Kanzler prägte auf seine Art nicht nur die deutsche Politik, sondern auch das Kanzleramt.

\* "Die Bundeskanzler und ihre Ämter", Edition Braus im Wachter Verlag, Heidelberg 2006, 29,80 Euro.