Wahl in Berlin: In den Umfragen liegt die SPD mit ihrem Spitzenkandidaten vorn - und der ist ganz entspannt. Den Sozialdemokraten ist in der Hauptstadt sogar ein Werbespot gelungen, in dem nur der CDU-Herausforderer Friedbert Pflüger zu Wort kommt - mit durchweg lobenden Aussagen über den Regierenden Bürgermeister . . .

Berlin. Behalten die Meinungsforscher recht, dann wird Klaus Wowereit Berlin auch in den kommenden fünf Jahren regieren. Entweder wieder mit der PDS oder zur Abwechslung mal mit den Grünen. Auf jeden Fall "nicht mit der CDU".

Das sagt der SPD-Mann zur Zeit bei jedem Wahlkampfauftritt. Ohne jede weitere Begründung. Überhaupt hat es sich Wowereit angewöhnt, die CDU zu demütigen. Speziell den CDU-Spitzenkandidaten Friedbert Pflüger. Dem hat er nach dem letzten Fernseh-Rededuell zwei seiner "Wowi-Bären" mit der gönnerhaften Bemerkung "Für die Kinder!" in die Hand gedrückt - wohl wissend, dass Journalisten dabeistanden, die das Gesehene prompt brühwarm weitergaben. Gegen den politischen Comment verstößt auch der Wahlkampf-Kinospot der SPD, in dem nur Pflüger spricht. "Völlig recht" habe der Herr Wowereit, heißt es da, und dass man dem Bürgermeister nicht anlasten könne, was "nicht seine Schuld" sei, und überhaupt: Der habe das "in den letzten fünf Jahren ganz gut hingekriegt"!

Diese verheerenden dreißig Sekunden haben SPD-Wahlkampfstrategen aus einem anderen Aufeinandertreffen zwischen Wowereit und Pflüger herausdestilliert, und das Schlimme ist: Friedbert Pflüger muss auch noch gute Miene zum bösen Spiel machen. Humor zeigen, der ihm inzwischen vermutlich vergangen ist. "Ehrlich gesagt" finde er den Spot "lustig und handwerklich gut gemacht", war von Pflüger denn auch artig zu hören.

Inzwischen kann einem der 51-Jährige fast leidtun. Die Umfrageergebnisse sind entmutigend: 22 Prozent für die CDU. Noch weniger als vor fünf Jahren, als die Christdemokraten für den Bankenskandal mit 23,8 Prozent abgestraft wurden. Der Spitzenkandidat beteuert trotzdem, die Wahl gewinnen zu können: 46 Prozent der Wähler, so Pflüger, seien ja noch unentschieden. Und überhaupt: "Ich hatte nie das Gefühl, dass ich es nicht schaffen kann."

Pflüger, der weiß, dass es für Schwarz-Gelb am Sonntag nie und nimmer reichen wird - die Demoskopen sichten die FDP bei acht bis neun Prozent -, hat versucht, mit Wowereit über eine Große Koalition zu sprechen. Vergeblich. Die CDU sei "nicht regierungsfähig", ließ Wowereit seinen Herausforderer herablassend wissen. Der klammerte sich gedanklich kurzfristig an die Jamaikakoalition. Die, so Pflüger trotzig Anfang Juli, sei schließlich auch noch eine Option! Wohl wissend, dass Berlins Grüne niemals mit einer CDU koalieren werden, die sich von denen, die damals in den Bankenskandal verstrickt waren, nicht losgesagt hat.

Inzwischen scheint "Jamaika", also Schwarz-Gelb-Grün, auch rechnerisch unmöglich. Der jüngsten Umfrage zufolge hat Wowereits rot-rotes Regierungsbündnis einen Vorsprung von vier Prozent. Die SPD liegt bei 32, die Linke.PDS bei 17 Prozent. Und wenn für Friedbert Pflüger kein Wunder mehr geschieht, dann wird die einzig interessante Frage am Sonntag sein: Wie schneiden die Grünen ab?

An diesem Abend hat ihn die Türkisch-Deutsche Unternehmervereinigung Berlin-Brandenburg zu ihrem Treffen am Kurfürstendamm eingeladen. Bahattin Kaya, der Verbandsvorsitzende, sagt, "dass Wahlen erst in den letzten vier Wochen entschieden werden". Friedbert Pflüger nickt und nickt, und aus diesem fast schon verzweifelten Nicken kann man auf den enormen Druck schließen, unter dem er steht. Noch vier Tage bis zur Wahl. Pflüger, der den Rechtsanwalt Nezih Ülkekul als Migrationsbeauftragten in sein Schattenkabinett berufen hat, kämpft um Stimmen und gegen Vorurteile. Nicht links, bei den Grünen, in der PDS und in der SPD säßen die wahren Freunde der Immigranten, ruft er in den Saal, "nein, wir sind es! Helfen Sie mir! Ich glaube, dass die Deutschen türkischer Abstammung das nicht bereuen werden!"

Dafür gibt es warmen Beifall. Ende Juni, im Konrad-Adenauer-Haus, hatte sich demonstrativ keine Hand gerührt, als Pflüger im Rahmen der von der CDU-Bundeszentrale organisierten "Unterstützerparty" angekündigt hatte, eine Initiative "Migranten für Pflüger" gründen zu wollen. Es sieht also so aus, als wäre der Kandidat seiner Partei ein ganzes Stück voraus.

Und zurückhaltend war die CDU von Beginn an. Nur zögerlich hatte sich der CDU-Landesverband nach einem Spitzenkandidaten von außen umgeblickt. Und erst als der ehemalige Bundesumweltminister Klaus Töpfer absagte, da kam Pflüger. Ein Mann, der lange für Richard von Weizsäcker gearbeitet hat; erst für den Regierenden Bürgermeister von Berlin, dann für den Bundespräsidenten von Weizsäcker. Aber auch Pflüger hat gezögert, die Kandidatur anzunehmen und dann sein Amt als parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium nach der Landtagswahl möglicherweise aufzugeben. Das hat ihm geschadet.

Einen Durchreisekandidaten hat man ihn genannt. Einen, der im Fall der Niederlage auf seinen angenehm dotierten Posten zurückkehren werde. Erst spät, vielleicht zu spät, hat sich Pflüger dazu durchringen können zu erklären, dass er auch als Oppositionsführer ins Berliner Abgeordnetenhaus einziehen wird. Er habe, so hatte er etwas pathetisch dazu gesagt, seine "Rückfahrkarte zerschnitten".

Während Friedbert Pflüger die Strapazen der zurückliegenden Wochen deutlich anzusehen sind, wirkt sein Kontrahent entspannt und ausgeruht. Er habe erst mal eine Currywurst gegessen, verkündet Klaus Wowereit jovial. Am Hermann-Ehlers-Platz in Zehlendorf, wo die SPD an diesem späten Mittwochnachmittag das "Wowi"-Mobil postiert hat. "Das kann ja nicht schaden", meint er, "der Wahlkampf kostet ja Kraft." Die Leute lachen. Auch über Wowereits Antwort auf die Frage des Moderators, ob es denn Spaß mache, wenn man merke, dass man gemocht werde. "Klar", sagt Wowereit, "is' doch besser als umgekehrt!"

"Wer Wowereit will, muss SPD wählen", steht auf den Wahlplakaten. Sie zeigen "den Regierenden", wie man in Berlin zu sagen pflegt, mit eleganten silbergrauen Haaren. Vorbei die Zeiten, in denen Wowereit vor laufenden Kameras geküsst und Champagner aus roten Pumps geschlürft hat. Fünf Jahre nachdem er Eberhard Diepgen gestürzt hat, gibt sich der 52-Jährige staatsmännisch. Jetzt spielt er sogar Golf.

Kurz und fade ist dieser Berliner Wahlkampf gewesen. Erst war Fußballweltmeisterschaft, danach kamen die großen Ferien, und Reizthemen hat es auch nicht gegeben. Pflüger verlangt die Offenhaltung des Flughafens Tempelhof ("Eine Stadt, die ihren City-Airport schließt, glaubt nicht an sich!"). Wowereit rühmt sich eines zarten Wirtschaftswachstums von 1,5 Prozent ("Das ist nicht genug, aber immerhin . . ."). Im Übrigen schaut man gebannt nach Karlsruhe, wo die Verfassungsrichter entscheiden werden, ob der Bund der bis über die Halskrause verschuldeten Hauptstadt unter die Arme greifen muss.

Dass Klaus Wowereit vier Wochen vor der Wahl die 38 Millionen Euro teure Abschaffung aller Kitagebühren ankündigte - "Das ist richtig investiertes Geld, und das muss sich eine reiche Gesellschaft auch leisten!" -, hat Friedbert Pflüger angesichts der Lage erst mal sprachlos gemacht. "Das glaubt Ihnen niemand!", hat er dann ganz empört gesagt. Wowereit ist trotzdem mit der Kita-Nummer durch den Wahlkampf gezogen. Nach dem Motto: Wenn ich mein Wort nicht halte, könnt ihr mich in fünf Jahren abwählen.

Friedbert Pflüger hat kurz vor dem Wahlsonntag einen Blick zurück getan. Er bedauere nichts, hat er gesagt. Und dass er alles wieder ganz genauso machen würde, wenn er die Zeit noch einmal zurückdrehen könnte. "Einschließlich der Entscheidung, es überhaupt zu machen."