Der Papst in Bayern: An den Stätten seiner Kindheit und Jugend - ein Fest für Bewohner und Gäste. 60 000 Menschen empfingen in dem Wallfahrtsort den Papst, der danach seinen Geburtsort Marktl besuchte.

Altötting. Edmund Stoiber ist bei diesem Papstbesuch offenbar unvermeidlich. Gestern Morgen, in Altötting, stand er schon wieder am roten Teppich, als Benedikt XVI. aus dem Hubschrauber stieg! Mit der ebenfalls unvermeidlichen Karin. Dieses Mal allerdings ohne Kinder und Enkelkinder. Deren Auftritte hatten am Vortag in München ja für Misstöne gesorgt. Nach dem Motto, unsereiner steht sich die Beine in den Bauch, um den Papst mal kurz im Papamobil vorbeifahren zu sehen, und die Stoibers funktionieren ein politisches Treffen zu einer Privataudienz um! Das ist nicht gerade gut angekommen bei der katholischen Basis. Aber wie heißt es so schön in der Bibel? Die Ersten werden die Letzten sein. Eben.

Edmund Stoiber spielt übrigens auch eine kleine Rolle in dem Witz, der in Altötting kursierte: "Benedikt XVI. landet in München, sieht die schöne Autobahn und sagt, dass er gern mal selbst fahren möchte. Ein paar Minuten später wird er geblitzt. Die Polizisten, die hinterm Baum gesessen haben, rufen ganz aufgeregt in der Zentrale an: ,Ihr ahnt nicht, wen wir eben erwischt haben!' - ,Franz Beckenbauer?' - ,Nee.' - ,Edmund Stoiber?' - ,Nee.' - ,Na, wen denn dann?' - ,Das wissen wir nicht, aber er muss wahnsinnig wichtig sein. Sein Chauffeur war der Papst!'" Apropos, wussten Sie schon, dass das Papamobil fast drei Meter hoch ist und ein Nummernschild hat? Hat es. SCV 1. "Stato della Città Vaticano" Nummer eins. Eine Nummer zwei fährt naturgemäß nicht herum.

Ja, man kann die interessantesten Dinge aufschnappen, wenn man mit dem Heiligen Vater unterwegs ist. Zum Beispiel, dass der fromme Wallfahrtsort Altötting, den jedes Jahr 1,2 Millionen Pilger aufsuchen, die "Kniebank der Bayern" genannt wird. Oder wie wär's damit: Die Eltern von Benedikt XVI. haben sich 1920 durch eine Heiratsannonce kennengelernt, die der Gendarm Joseph Ratzinger im "Altöttinger Liebfrauenboten" aufgab. (Katholisches Mädchen gesucht, das kochen und nähen kann.) Oder damit: Der Fußballspieler Paul Breitner ist über seinen Großvater zwar entfernt mit Benedikt XVI. verwandt, schenkt diesem Umstand aber keine besondere Aufmerksamkeit. ("Ich bin nicht katholisch, ich habe keinen Glauben. Deshalb überlasse ich es anderen, sich mit dem Papst zu beschäftigen.") Das sind sozusagen die schönen lokalen Tupfer.

Was uns zu den weiß-gelben Fähnchen bringt. Exemplare aus Papier wurden gestern umsonst verteilt, Fähnchen aus Kunstseide konnte man für 3,99 Euro käuflich erwerben. Es gab sogar weiß-gelbe Autofähnchen mit dem Benedikt-Wappen (links der Freisinger Mohr als Zeichen des alten Fürstbistums Freising, rechts der Korbiniansbär als Symbol für den Lastenträger Gottes, unten die Jakobsmuschel der Pilger), aber die entpuppten sich nicht gerade als Renner. Ehrlich gesagt, fuhren mit solchen Dingern eigentlich nur die ZDF-Kollegen herum. Das ZDF hatte sich übrigens auf dem Dach des Hotels Post aufgebaut, in dem Joseph Ratzinger, als er noch nicht Papst war, gern gegessen hat. Mit Blick auf die Stiftskirche und die Gnadenkapelle, in der die berühmte mittelalterliche Schwarze Madonna bewahrt wird. Gabriele Tandler, die Postwirtin, ist jetzt übrigens "päpstliche Weißwurstlieferantin"!

Abgesehen von den Stoibers sollen in Altötting Bischöfe aus Chile, Ecuador und Uganda dabei gewesen sein. Und sechzig (!) Nachfahren von Ludwig II. - allen voran Franz von Bayern, der am Sonnabend in der allgemeinen Benedikt-Euphorie über einen Blumenkasten gestolpert war und seinen linken Arm seitdem in einer Schlinge trägt. Die sechzig Wittelsbacher haben bestimmt alle Sitzplätze gehabt. Dem katholischen Fußvolk waren dieses Mal wenigstens selbst mitgebrachte Klapphocker erlaubt, die sich frühmorgens vor allem am Altöttinger Dultplatz bezahlt machten, den Papst Benedikt XVI. nach der Landung als ersten mit dem Papamobil umrundete.

Claudia Schladitz zum Beispiel war bereits um fünf Uhr morgens aus Prien am Chiemsee eingetroffen. Um ein Gelübde ihrer Mutter einzulösen, von dem sie erst eine Woche zuvor erfahren hatte: "1945, als mein Bruder sterbenskrank war, hat sie versprochen, nach Altötting zu pilgern, wenn er wieder gesund wird." Dem Bruder haben damals die Antibiotika der Amerikaner geholfen. Er ist Physiker, Realist. "Er fand's gut, dass ich gehe, selbst wollte er nicht kommen. So katholisch ist er nicht." Auch Sebastian Hering ist schon vor Tagesanbruch in Altötting gewesen. Ein Mann in grünem Loden mit Entenfedern am Hut, der an jedem Gründonnerstag nach Altötting pilgert.

Gestern sollen 60 000 Menschen in Altötting gewesen sein. Manche zu Tränen gerührt. Die alte Frau, deren Hand Benedikt XVI. im letzten Augenblick noch ergriff, die junge Mutter, deren Baby er einen Kuss auf die Stirn drückte. Niemand habe sich dieser Tränen geschämt, hat Bischof Wilhelm Schraml später gemeint, als er nach dem gemeinsamen Mittagessen mit Benedikt XVI. bei den Kapuzinerbrüdern ("Es gab Schweinsbraten mit Semmelknödeln, das hat ihm recht geschmeckt!") ins Pressezentrum herüberkam. "Unser Papst", meinte der Oberhirte der Diözese Passau sichtlich beglückt, "freut sich von ganzem Herzen da zu sein, wo er als Bub gewesen ist, wo er als Priester, Theologe, Bischof und Kardinal gewirkt hat." Gerüchten, Benedikt XVI. sei gesundheitlich nicht ganz auf dem Posten, widersprach Schraml energisch: "Der Heilige Vater ist gut beieinander." Und bewegt, fast ein wenig verwundert, fügte er wenig später hinzu, Benedikt XVI. sei mitbrüderlich und niemals von oben herab.

Mit Verlaub, das hatte man sich sogar aus protestantischem Abstand schon gedacht! Immer irgendwie angerührt von den roten Schuhen, die Benedikt auch gestern wieder trug. Oder von den kindlich schnellen Seitenblicken, die er sich immer noch nicht abgewöhnt hat. Und natürlich von der Warmherzigkeit, mit der er gestern nach dem Gottesdienst auf die Menschen zuging. Was ihm erstmals in Altötting die berühmten "Benedetto! Benedetto!"-Rufe eintrug.

Angesichts solcher Eindrücke fiel es zuweilen schwer, sich daran zu erinnern, dass man von Rom irgendwie immer noch als Ketzer betrachtet wird. Und dass die von Bundespräsident Köhler in München angemahnte Ökumene nicht in Sicht ist. Immerhin: Benedikt XVI. hat zu Beginn seiner Bayern-Reise erklärt, man werde sich mit Herz und Verstand darum bemühen, zueinanderzukommen.

Mit Herz und Verstand. In diesen Tagen geht es eindeutig um eine Herzensangelegenheit. Benedikt XVI. hat im kleinen Altötting offen seine Heimatverbundenheit gezeigt, und dafür, hat Bischof Schraml gemeint, hätten ihm "die Menschen in Altötting ihr Herz geschenkt". Das Schöne ist: Exzellenz hatte recht.