BROSCHÜRE. Union nennt Brief der Regierung an die Bürger verfassungswidrig. Steuerzahlerbund: Millionen-Verschwendung.

Berlin. "Verbotene Wahlwerbung", "Propaganda" und "Missbrauch von Steuergeldern": Die Vorwürfe von Union und Steuerzahlerbund an einer Informationskampagne der Bundesregierung hatten es gestern in sich. Der Stein des Anstoßes waren zwei Informationsbriefe zu den Themen Nachhaltigkeitspolitik und Zuwanderungsgesetz, die in den vergangenen Tagen Nachrichtenmagazinen und Tageszeitungen beilagen. Kostenpunkt: 2,85 Millionen Euro. Die Regierung wies die Vorwürfe zurück und berief sich auf ihre Pflicht, die Bürger über zentrale Vorhaben zu informieren. Der haushaltspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Dietrich Austermann (CDU), sagte, die Schröder-Regierung verstoße gegen die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätze zur Öffentlichkeitsarbeit. Die Union wertete die Informationskampagne in Zeiten knapper öffentlicher Kassen, einer Haushaltssperre und angesichts der Milliardenaufwendungen für die Folgen der Flutkatastrophe als eine Verschleuderung von Steuergeldern. Nach Ansicht des Bundes der Steuerzahler hat die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung zunehmend Schlagseite in Richtung verbotener Wahlwerbung bekommen. Der Informationsgehalt der Broschüren sei dünn. Das Faltblatt zum Thema Zuwanderung stellt unter der Überschrift "Im deutschen Interesse" die wichtigsten Punkte des Gesetzes zusammen, das am 1. Januar in Kraft treten soll. Unions-Ministerpräsidenten haben wegen der umstrittenen Abstimmung im Bundesrat Verfassungsklage gegen das Gesetz eingereicht. Bundesratspräsident Klaus Wowereit (SPD) hatte am 22. März das entscheidende Ja von Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) als Zustimmung des Landes gewertet, obwohl zuvor zwei Minister seines Kabinetts unterschiedlich votiert hatten. Die Bundesregierung verwies darauf, sie habe die Broschüren bereits in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Union Anfang Juni angekündigt. Auf die Frage, warum die Zuwanderungs-Broschüre erst zwei Monate nach der Unterzeichnung des Gesetzes durch Bundespräsident Johannes Rau und damit kurz vor der Wahl veröffentlicht werde, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Charima Reinhardt, dies sei der frühest mögliche Zeitpunkt gewesen. Der Druck sei erst nach der Unterzeichnung in Auftrag gegeben worden. Das Bundesverfassungsgericht hatte 1977 in einem Grundsatzurteil erklärt, der Staat müsse sich im Wahlkampf neutral verhalten, damit die Chancengleichheit der Parteien nicht gefährdet werde (AZ.: 2 BvE 1/76). Bei der Öffentlichkeitsarbeit sei die Grenze zur Wahlwerbung etwa überschritten, wenn die Opposition negativ beurteilt werde. Für die heiße Phase des Wahlkampfs erlegte das Gericht der Regierung äußerste Zurückhaltung auf. Dies bedeute, dass sich die Regierung "nicht mehr unmittelbar durch Anzeigen, Versendung von Drucksachen oder Faltblättern und Postwurfsendungen in den Wahlkampf einschalten" dürfe. Das Gericht legt aber keine genauen Grenzen für den Beginn der heißen Phase fest. Orientierungspunkt könne etwa die Verkündigung des Wahltermins durch den Bundespräsidenten sein. Bundespräsident Rau hat den Termin für die bevorstehende Bundestagswahl am 21. Dezember 2001 bekannt gegeben.