Kliniken: 2500 Mediziner demonstrieren in Hannover gegen Ver.di-Abschluss

Hannover. "Ist Castrop-Rauxel da?" Die Stimme von der Bühne dröhnt durch das Sommernieseln auf dem Opernplatz. Vor dem klassizistischen Prunkbau trillert es dutzendfach aus orangen Pfeifen. Castrop-Rauxel ist da. Fulda ist auch da, Herborn sowieso. "Ammerland" posiert mit einem weißen Transparent, selbst gepinselt. Inmitten der geschätzten 2500 Ärzte aus den städtischen Kliniken Deutschlands, die in weißen Kitteln mit orangen Käppis und orangen Schlipsen die Straße erobert haben, stapft Jan Kniese (33) von einer Gruppe zur nächsten. Der Assistenzarzt am Klinikum Hannover ist einer von 70 000 Medizinern, die mehr Geld wollen.

"170 Euro habe ich seit der Einführung des TVÖD weniger im Monat", sagt Kniese. TVÖD - das ist der Tarifvertrag im öffentlichen Dienst, der den alten BAT abgelöst hat. Mit dem Marburger Bund kämpft Kniese jetzt gegen die Arbeitgeber (VKA) und die Gewerkschaft Ver.di, die auch für die Klinikärzte einen Tarifvertrag vereinbart hat.

Das macht Kniese wütend: "Die behaupten, wir bekämen bald zehn Prozent mehr. Ich wäre schon froh, wenn ich bald mein altes Gehalt wieder hätte und dann vielleicht mal fünf oder zehn Prozent obendrauf." Am Klinikum Hannover arbeiten 900 Ärzte, 800 sind im Marburger Bund, 4 bei Ver.di. Ein Tag Streik heißt für Kniese: ein Dreißigstel Gehalt ist futsch.

Einbußen durch den TVÖD hat auch Torsten Gericke (39) vom Krankenhaus Siloah. Der Vater von drei Kindern muss bei einem Wechsel in ein anderes Haus sogar ein Minus von 1000 Euro brutto pro Monat fürchten. "Wechsel sind normal. Heute gibt es fast nur noch Dreijahresverträge." Mit dem ICE kam eine Gruppe aus Bayern, per Gruppenticket mit Sommer-Ermäßigung. Der Weißkittel-Express durch Deutschland kommt auf Touren. Einige laufen forsch die Straßen herunter, manche bedächtig im Schritttempo einer Chefarzt-Visite. Bianca Weisheit (29) vom Klinikum Bayreuth ist die unbezahlten Überstunden leid. "Wann sollen wir demonstrieren, wenn nicht jetzt?" Auch ihr rotes Tuch ist der TVÖD, das Feindbild die Gewerkschaft Ver.di.

Dieter Abraham (56), Oberarzt in Bremen, trägt ein seltsames Schild: "Guter Arzt oder Computerspezialist?" Er sagt: "Geld ist nicht das Wichtigste." "Ein Internist verschwendet heute ein Drittel bis ein Viertel seiner Arbeit für die Dokumentation. Dabei könnte er die Zeit besser für die Patienten aufbringen." Der TVÖD brachte Abraham 300 Euro weniger. Die Ärztestreiks haben ihn verändert: "Wir haben zu viele Jahre den Mund gehalten."

Einer, der sich vom Standesvertreter zum Straßenkämpfer gewandelt hat, ist Frank Ulrich Montgomery. Der Vorsitzende des Marburger Bundes wird auch in Hannover "Monty" genannt. Auf "Monty" lasten alle Erwartungen, "Monty" wird's schon richten. Von einem "mafiösen Kartell" zwischen Arbeitgebern und Ver.di spricht Montgomery gegenüber dem Abendblatt. Die Streiks würden bald "extrem eskalieren".

Aber er ein Straßenkämpfer? "Mir gefällt diese ganze Personalisierung nicht. Ich bin kämpferisch für die Sache." Er kann mit Tabellen belegen, dass viele Ärzte reale Gehaltseinbußen hinnehmen müssen. Und er ahnt bereits, dass weitere Streiks die Arbeitgeber zu Verhandlungen mit dem Marburger Bund zwingen werden: "Streiks kosten Geld, die VKA wird Druck aus den Ländern kriegen. Wir haben schon mit 50 Kliniken Einzelverträge geschlossen. Und es werden mehr." Für diese Häuser wäre ein Streik teurer als ein provisorischer Gehaltsaufschlag für die Mediziner.

Der Hannoveraner Arzt Torsten Gericke hat Visionen von einer schlagstarken Gewerkschaft: "Wir brauchen eine richtige Streikkasse. Und ein Landesvorstand sollte nicht mehr ehrenamtlich arbeiten." Der Weg aus dem Operationssaal auf die Barrikaden ist kürzer geworden.