Fluthilfe: Senkrechtstarter Rossberg soll Hilfsgelder verschoben haben. Er habe einem bankrotten Freund Job und dreifaches Gehalt verschafft, sagt der Staatsanwalt.

Dresden. Es paßt ihm nicht, auf der Anklagebank zu sitzen. Das sieht man ihm an. Und hören kann man es auch. Wenn Ingolf Roßberg redet, hat er einen kiebigen Unterton in der Stimme. Dann entwickelt man schnell eine Vorstellung davon, wie dieser Mann mit dem einen oder anderen in seiner Verwaltung umgesprungen ist, wenn ihm etwas gegen den Strich ging. Aber Roßberg schweigt ja neuerdings vor Gericht. "Ich habe", hat er dem Vorsitzenden Richter am vergangenen Montag mitgeteilt, "die Empfehlung von meinem Anwalt erhalten, mich nicht weiter zu äußern!"

Roßberg ist fünf Jahre Oberbürgermeister in Dresden gewesen. Genau gesagt ist er es noch, allerdings hat man ihn im Mai suspendiert. Und seit der Mitangeklagte, der ehemalige Männerfreund Rainer Sehm, gestanden hat, sieht es nicht gut aus für Roßbergs Karriere.

Die hatte nach der Wende flott begonnen. Der Verkehrsingenieur mit dem FDP-Parteibuch wurde 1990 quasi aus dem Stand Dezernent für Stadtentwicklung in Dresden, ließ sich vier Jahre später im benachbarten Radebeul zum Bürgermeister wählen und folgte 2000 einem Ruf nach Wuppertal. Damals machte Roßberg - nun Beigeordneter für das Dezernat Stadtentwicklung, Bauen und Verkehr - zum ersten Mal Schlagzeilen: als erster Ostdeutscher im Wahlamt einer westdeutschen Großstadt.

Das hat Roßbergs Ehrgeiz nicht genügt. Schon ein knappes Jahr später sah man ihn in seiner alten Heimat wieder: als Kandidaten der parteiübergreifenden "Bürgermeisterinitiative OB für Dresden", die entschlossen war, eine neue Amtszeit des CDU-Politikers Herbert Wagner ("Pannen-Herbert") zu unterbinden. Die Verhinderungsstrategie von SPD, FDP, PDS und Grünen ("Die Abwahl geht vor!") hat Roßberg damals tatsächlich an die Macht gebracht. Am 1. August 2001 wurde er im Amt vereidigt - gerade mal 40 Jahre alt schien er am Ziel seiner Träume angelangt.

Schwungvoll, mit jungenhaftem Charme, aber nicht unumstritten hat Roßberg Dresden regiert. Als im August 2002 die große Flut kam und die Semperoper bis zu den Knöcheln im Wasser stand, bügelte er die Kritik an seinem Krisenmanagement mit einem lapidaren "Alle haben das Menschenmögliche getan" ab. Wer ihn nicht (mehr) mag, sagt, Ingolf Roßberg sei naßforsch und beratungsresistent.

Wer ihn schätzt, nennt ihn unkonventionell und entscheidungsfroh. Daß das stimmt, bewies Roßberg Anfang März. Damals stimmte der Dresdner Stadtrat für seinen Vorschlag, den kompletten kommunalen Wohnungsbestand an einen amerikanischen Investor zu verkaufen: Die Stadt war mit einem Schlag schuldenfrei - als erste Großstadt Deutschlands. Was für ein Coup!

Ingolf Roßberg hat lange nicht geglaubt, daß die Staatsanwaltschaft es tatsächlich wagen würde, ein Verfahren wegen Untreue, Vorteilsnahme und Beihilfe zum betrügerischen Bankrott gegen den Oberbürgermeister von Dresden zu eröffnen. Als es so weit war, hat er sich mit den Worten empört, so könne man Strafrecht nicht handhaben. Die Dinge müßten vom Kopf auf die Füße gestellt werden!

Inzwischen wirkt Roßberg, dem fünf Jahre Gefängnis drohen, nur noch wie ein Schatten seiner selbst. Der teure antrazithgraue Anzug scheint eine Nummer zu groß, nervös zieht der einst so smarte 45jährige in den Verhandlungspausen an seinen Zigarillos, den einstigen Freund und Vertrauten Rainer Sehm würdigt er keines Blickes mehr.

Die Freundschaft der beiden reicht ins Jahr 1994 zurück. Der Fuhrunternehmer Sehm hat Roßberg damals ins Radebeuler Rathaus empfohlen. Zum Dank dafür machte Roßberg Sehm sieben Jahre später zu seinem "freien Berater für Wirtschafts- und Strukturfragen". Im August 2002 avancierte Sehm dann zum "Fluthilfekoordinator": zuständig für die Verteilung der stattlichen Wiederaufbaumittel. Das waren immerhin satte 316 Millionen Euro (13 Millionen Euro gaben allein die Hamburger für ihre Partnerstadt.)

Rückblickend kann man sagen, daß Roßberg den Bock zum Gärtner gemacht hat. Freund Sehm hatte mit seinem Speditionsbetrieb gerade bankrottgemacht und - angeblich auf Roßbergs Rat hin - Privatinsolvenz angemeldet. Als Fluthilfekoordinator erhielt Sehm 2600 Euro pro Monat - nicht viel für einen, der vorher auf großem Fuß gelebt hatte. Laut Staatsanwaltschaft soll Roßberg deshalb angeordnet haben, das Gehalt seines Freundes zu vervielfachen: auf nunmehr 9396 Euro monatlich. Einzig zu dem Zweck, die zusätzlichen Einkünfte am Insolvenzverwalter vorbeizuschleusen - Sehm hätte die über der Pfändungsgrenze liegenden Beträge abführen müssen -, sei die Strohfirma "Actor Consulting" gegründet worden.

Den entstandenen Schaden beziffert Staatsanwalt Till Pietzcker auf 142 128 Euro. Damit nicht genug. Er wirft Roßberg auch noch vor, versucht zu haben, Sehm als Berater bei Firmen unterzubringen, die als Generalunternehmer für die Hochwasserschadensbeseitigung im Gespräch gewesen seien. Das, so Pietzcker, erfülle den Tatbestand der Vorteilsnahme zugunsten eines Dritten.

Sehm hat diesen Vorwurf am ersten Prozeßtag bestätigt. Außerdem hat er erklärt, im Dresdner Rathaus Papiere unterschrieben zu haben, die auf Veranlassung Roßbergs zurückdatiert worden seien. Als Sehms Verteidiger vor Gericht erklärte, sein Mandant sei sich bewußt, in strafrechtlichem Sinn Schuld auf sich geladen zu haben - "Er sieht sein Unrecht ein und bereut das auch!" -, war das ein echter Paukenschlag. Und als Roßberg für den zweiten Prozeßtag eine "Erklärung" ankündigte, erwarteten die meisten Prozeßbeobachter schon eine zweite Sensation.

Die gab es nicht. Im Gegenteil. Roßberg beschwerte sich beim Vorsitzenden Richter der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Dresden. Es habe ihn schon "sehr gestört", so der suspendierte Oberbürgermeister mit erhobener Stimme, was ihm "hier unterstellt" werde. Nämlich daß er gesagt haben solle: "Der Staatsanwalt will meinen Kopf." Niemals, so Roßberg aufgebracht, habe er so etwas gesagt! Während Staatsanwalt Pietzcker nur süffisant lächelte, kramte Richter Hans Schlüter-Staats in aller Seelenruhe den entsprechenden Aktenvermerk hervor. Ein Mitarbeiter des Rechtsamtes, belehrte er den Angeklagten kühl, habe dies in seiner Zeugenaussage aber zu Protokoll gegeben . . .

Regulär endet Roßbergs Amtszeit zwar erst 2008, aber in Dresden rechnen zur Zeit nicht mehr viele damit, daß der FDP-Mann ins Rathaus zurückkehren wird. Aus seiner eigenen Partei heißt es, man gehe davon aus, "daß Ingolf Roßberg seine Unschuld nachweisen kann". Deutlicher kann man nicht allein gelassen werden. Heute soll der Prozeß fortgesetzt werden.