Bericht: Auch Löhne stiegen deutlich langsamer als 1995 vorausgesagt. Selbst bei weiteren Nullrunden für Ruheständler wird der Bund die Rentenkassen mit dreistelligen Millionen-Beträgen stabilisieren müssen.

Berlin. Offiziell bleibt die gewaltige Fülle von Daten und Fakten bis nach der heutigen Sitzung des Bundeskabinetts strikt unter Verschluß. Doch der Rentenversicherungsbericht 2005, den Bundesarbeits- und -sozialminister Franz Müntefering (SPD) heute präsentieren wird, ist in Berlin längst durchgesickert. Die Botschaften des Berichts, der dem Abendblatt vorliegt, sind für die heutigen wie für die künftigen Rentner in den Einzelheiten überwiegend nicht wirklich neu, in der Gesamtschau aber so trist wie ernüchternd.

Die Ruheständler von heute können vorerst nicht mit Rentenerhöhungen rechnen, sondern einstweilen nur mit weiteren Nullrunden. Immerhin soll es aber in dieser Legislaturperiode, also bis 2009, definitiv keine Rentenkürzungen geben, selbst wenn diese auf Grund der flauen Lohnentwicklung und der Rentenformel eigentlich zwingend wäre. Schon das dürfte allerdings ein finanzieller Kraftakt werden. Möglicherweise muß der Bund 2008 sogar einen einmaligen zusätzlichen Betrag von 600 Millionen Euro in die Rentenkasse zuschießen. Andernfalls müßten sonst womöglich die Renten gekürzt oder die Beiträge über 19,9 Prozent hinaus erhöht werden. Beides soll aber definitiv ausgeschlossen werden. Und deshalb muß womöglich 2008 der Bundesfinanzminister zusätzlich bluten. Genau wird die Bundesregierung das aber erst Mitte des kommenden Jahres wissen, wenn exaktere Daten vorliegen.

Wie sehr Vorhersagen in der Rentenpolitik zu mißtrauen ist, lehrt der jüngste Rentenversicherungsbericht nämlich auch. So muß die Bundesregierung frühere Rentenprognosen aus den 90er Jahren jetzt deutlich nach unten korrigieren, weil zu Zeiten der Kohl-Regierung auch die künftige Lohnentwicklung viel zu optimistisch eingeschätzt worden war. Die "Bild"-Zeitung verdichtete gestern diese unerfreuliche Kunde zu der Überschrift: "Schrumpf-Rente 330 Euro weniger als 1995 vorhergesagt!"

Das Sozialministerium reagierte sauer, sprach von einer "Verunsicherungskampagne". Münteferings Sprecher Stefan Giffeler nannte die von "Bild" vorgenommenen Vergleiche "unsinnig". Tatsächlich sind laut Aussagen der Deutschen Rentenversicherung und auch des Ministeriums keineswegs die Renten geschrumpft. Allerdings haben sich die Prognosen aus dem Jahr 1995 als komplett falsch erwiesen. Es geht um die Prognosen zur sogenannten Eck- oder Standardrente die ein Durchschnittsverdiener nach 45 Beitragsjahren erhält.

Laut Rentenversicherung wurde zu Norbert Blüms Zeiten im Rentenversicherungsbericht 1995 für das Jahr 2009 eine monatliche Eckrente von 1510 Euro vorausgesagt. Der Rentenversicherungsbericht 2005 prognostiziert für 2009 eine Eckrente von rund 1180 Euro aus. Das sind 78 Prozent der vorausgesagten Werte, und tatsächlich 330 Euro weniger als 1995 prognostiziert. Allerdings hatten sich die Experten 1995 auch bei der künftigen Lohnentwicklung genauso verschätzt. Im Rentenversicherungsbericht 1995 war für 2009 ein Bruttoentgelt von rund 39 336 Euro vorausgesagt worden. Für 2009 werden jetzt 30 787 Euro erwartet. Das sind auch 78 Prozent der vorausgesagten Werte. Mit anderen Worten: Die Rentenentwicklung entspricht der Lohnentwicklung und die der Wirtschaftslage, sie sich nach 1995 schlechter darstellte als erhofft.

Aus dem Rentenversicherungsbericht geht ferner hervor, daß der Verzicht auf Rentenkürzungen ab 2012 durch Dämpfung den Rentenanstiegs in fünf Schritten zu je 0,4 Prozent nachgeholt werden soll. Das heißt: Sollte dann eine Rentenerhöhung von zum Beispiel einem Prozent anstehen, würde sie um 0,4 auf 0,6 Prozent reduziert. Voraussetzung für Rentenerhöhungen sind aber auch künftig entsprechende Lohnerhöhungen. Auf längere Sicht bis 2019 kalkuliert der Bericht mit Lohnzuwächsen von jährlich etwa 2,5 Prozent.

Die Rentenversicherungsbeiträge sollen von derzeit 19,5 Prozent Anfang kommenden Jahres auf 19,9 Prozent steigen, auf diesem Niveau bis 2012 stabil bleiben und dann auf 19,4 Prozent sinken. Ob die freiwillige Riester-Rente zur privaten Zusatzvorsorge verpflichtend wird, bleibt zunächst offen.