Stoiber-Nachfolge: Ein protestantischer Franke tritt gegen einen katholischen Niederbayern an

München. Seit mehr als 40 Jahren regiert die CSU in Bayern mit absoluter Mehrheit. Jetzt steht sie wieder einmal vor einem internen Machtkampf: vorerst nicht um den Parteivorsitz, sondern um das freiwerdende Amt des Ministerpräsidenten. Wenn CSU-Chef Stoiber als Wirtschaftsminister nach Berlin geht, braucht er in seinem bisherigen Amt als Ministerpräsident einen Nachfolger. Wer das wird, so sagt er, kann erst entschieden werden, wenn die Koalition mit der SPD wirklich steht. Darum dürfe darüber frühestens etwa Mitte November geredet werden. Das glaubt ein Schiedsrichter, der den Kampf seiner Diadochen nach sportlichen Regeln und in Freundschaft austragen lassen will.

So etwas Häßliches wie einen Machtkampf gibt es überhaupt nicht, beteuert treuherzig Jo-achim Hermann, der Vorsitzende der CSU-Fraktion im bayerischen Landtag, die den Ministerpräsidenten wählen muß. Es haben sich aber bisher schon zwei Kandidaten öffentlich dafür beworben: Innenminister Günther Beckstein und der Bundesratsminister und Leiter der Staatskanzlei Erwin Huber. Da es aber diese zwei Bewerber sowie andere Vorschläge gibt, ist hinter den Kulissen der Machtkampf um den Regierungschef und nachfolgende Posten-Rochaden längst entbrannt. Das bestätigt die Sorge Stoibers: Wenn er sich früher für Berlin entschieden hätte, wäre dieses Thema sofort wichtiger gewesen als der Bundestagswahlkampf. Wer immer letztlich Bayerns neuer Ministerpräsident wird, rückt ja nicht einfach auf Stoibers Stuhl nach und regiert mit dessen Kabinett fröhlich weiter bis zur 2008 "drohenden" Landtagswahl. Er braucht zum einen selbst wieder einen Nachfolger und wird zum anderen wenigstens einige Positionen im Kabinett sofort verändern. Dies auch deshalb, weil sein unterlegener Kontrahent kaum in seiner bisherigen Position verbleiben will, sondern auf andere Weise entschädigt werden muß.

Vor allem muß der Ministerpräsident sich und sein Kabinett so aufstellen, daß er sowohl die Kommunal- als auch die Landtagswahl 2008 für die CSU gewinnen kann. Und zwar trotz mancher Grausamkeiten der Bundesregierung, an der auch die CSU und ihr Parteivorsitzender Stoiber beteiligt sein werden.

Das trotz vieler Erklärungen schockierende Erlebnis bei der Bundestagswahl, nämlich wie leicht man innerhalb von drei Jahren von mehr als 60 Prozent auf unter 50 Prozent absackt, hat auch die CSU-Landtagsfraktion im Münchner Maximilianeum alarmiert. Sie stellt jetzt mit 124 von 180 Mandaten eine Zweidrittelmehrheit im Landtag. Hätte sie 2008 wieder ein Ergebnis von 49,5 wie zuletzt, so müßten sich rund 30 Abgeordnete verabschieden. Wo es aber um das eigene Hemd und die "Sterntaler" der Diäten darauf geht, läßt es die Abgeordneten nicht kalt, wer als Ministerpräsident in der Lage ist, über die Stimmkreise hinaus auch wieder genügend Listenplätze zu erkämpfen.

Dies ist das erste und höchste Gebot für jeden Nachfolgekandidaten. Die Opposition aus schwacher SPD und polemisierenden Grünen spielt dabei kaum eine Rolle. Entscheidend ist, ob die Bayern mit der in Bayern allein und in Berlin mitregierenden CSU zufrieden sind oder nicht.

Dahinter eher zweitrangig sind die traditionellen Kriterien, mit denen "der heilige Proporz" die Macht der CSU in Bayern absegnet: der Proporz nach Konfession, Geschlecht, vier Stämmen und sieben Bezirken. Im Jahr 1962 standen sich zwei starke Kandidaten in einem für die CSU bedrohlichen Richtungskampf gegenüber: ein konservativ-katholischer Oberbayer und ein liberal-protestantischer Franke. Deren Blockade wurde mit dem liberal-katholischen Oberpfälzer Alfons Goppel aufgelöst: einem Übergangs-Ministerpräsidenten, der das dann 16 Jahre blieb.

Im heutigen Fall des protestantischen Franken Beckstein und des katholischen Niederbayern Huber spielt sich kein Richtungsstreit in der CSU ab, weil politisch beide weitgehend identisch sind. Die Konfession spielt auch keine Rolle mehr, eher der Stamm: Seit 1962 mit Hanns Seidel war kein Franke mehr Ministerpräsident. Ein Protestant, ein Schwabe oder eine Frau überhaupt noch nie. Aber kann ein Franke in den drei altbayerischen Bezirken punkten? Und kann ein Niederbayer in den drei fränkischen Bezirken die absolute Mehrheit halten? Da auch der jetzige Fraktionschef Hermann für einen geeigneten Ministerpräsidenten erachtet wird, ebenso Wirtschaftsminister Otto Wiesheu, ist nicht entschieden, ob vielleicht ein "dritter Mann" die Konkurrenz zwischen Beckstein und Huber auflöst.