Studenten vom Balkan gehen neue Wege der Versöhnung. Ihr Kongress beginnt am Donnerstag

Hamburg. "Warum soll es nicht möglich sein, wieder gemeinsam serbische, slowenische und bosnische Lieder zu singen?", fragt Naida Mehemdbegovic (25), die nach dem Ende des Bosnienkrieges aus der Stadt Zenica nach Hamburg gekommen ist und hier nun Anglistik studiert. Naida gehört zu einer Gruppe von Studenten an der Hamburger Universität, die aus den Ländern des ehemaligen Jugoslawien kommen: Kroaten, Mazedonier, Bosnier, Serben. Sie hatten sich anlässlich eines Balkan-Symposiums in Hamburg im September 1999 zu einem Gesprächskreis zusammengeschlossen. Ihre Eltern haben noch Krieg gegeneinander geführt, die Kinder nun wollen endlich Perspektiven für eine friedliche Zukunft in ihrer Heimat. Sie wollen den Dialog zwischen den Kindern der ehemaligen Feinde. Denn sie sind die Generation, die nach ihrer Rückkehr führende Funktionen in Politik, Wirtschaft, Kultur und Verwaltung übernehmen wird - und vor Ort Friedensimpulse in die Tat umsetzen könnte. Mit einem internationalen Kongress "Studenten bauen Brücken", der diesen Donnerstag in Hamburg beginnt, werden sie ihrer Friedensarbeit nun einen großen Rahmen geben und eine Initiative zum Dialog der Völker starten. Ein Modell, das von Hamburg aus Schule machen könnte. Es sollen Brücken gebaut werden - zwischen den Völkern in ihrer Heimat, zwischen den Studenten an Universitäten im deutschsprachigen Raum und Studenten in den Staaten auf dem Gebiet des früheren Jugoslawien. "Wir haben hier eine besondere Verantwortung", beschreibt Naida Mehemdbegovic ihre Motivation. Eine Verpflichtung, die auch Peter Riedesser, Direktor der Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Universitätsklinik Eppendorf, empfindet. Deshalb unterstützt er das Vorhaben. "Es ist eine ganz große Chance für uns, die Studenten miteinander ins Gespräch zu bringen." Denn Kontakte zwischen Studenten verschiedener Herkunft sind die Ausnahme. "Viele wollen mit den Problemen von damals nichts mehr zu tun haben und reden lieber nicht", beschreibt Naida Mehemdbegovic die Schwierigkeiten, Studenten von der befreienden Wirkung gemeinsamer Gespräche zu überzeugen. Vorbehalte, die der israelische Psychologe Dan Bar-On aus Beer-Sheeva in Israel immer wieder erfahren hat. In seiner Arbeit versucht er Wege zu finden, die eigenen Gefühls- und Erfahrungsgrundlagen zu erkennen - und sie mit den Gefühlen des "Feindes" zu konfrontieren. In einem ungewöhnlichen Projekt brachte er die Kinder von Holocaust-Überlebenden mit den Nachfahren von Nazi-Tätern zusammen. Die Idee war es, sich gegenseitig die Lebensgeschichten zu erzählen. Allein das Zuhören half, die eigenen Gefühle, aber auch die der anderen Seite zu verstehen. Seinen Ansatz erweiterte der Psychologe auf Gesprächspartner aus Südafrika, Palästina, Israel und Nordirland, die sich in ihren Ländern für Verständigung und Frieden einsetzen. "Als wir mehr und mehr schreckliche Geschichten von allen Seiten hörten, fühlte ich, dass die Mauern zu brechen begannen. Wir weinten gemeinsam, wir trösteten einander und fühlten, dass wir dabei waren, Brücken zu errichten", beschreibt Dan Bar-On. "Friedensprojekte brauchen mehr als große Politik, sie brauchen ganz besonders die Bereitschaft Einzelner, sich auf Menschen von der anderen Seite einzulassen", so Dan Bar-On. Er wird beim Hamburger Kongress dabei sein. Verbindungen zum anderen schaffen, darum geht es den "Brückenbauern" in Hamburg. Sie wollen ein Netzwerk des Friedens knüpfen, Verletzungen, Vorurteile und Hass abbauen. Indem sie erst einmal die eigene Lebensgeschichte erzählen und den anderen einen Blick in die eigenen Verletzungen erlauben. "Die Frage ist, ob wir uns überhaupt etwas zu sagen haben", beschreibt Nermana Jamakosmanovic aus Sarajevo ihre Skepsis. Sie war nach einer abenteuerlichen Flucht zu ihrer Mutter nach Hamburg gekommen und studiert nun Psychologie. "Aber wir wollen nicht den Krieg besprechen, wer Schuld hatte, wer was verbrochen hat", stellt Naida Mehmedbegovic klar. Mehr als 300 südosteuropäische Studenten haben bereits zugesagt. So viele, dass ein Anmeldestopp verhängt werden musste, weil nicht genügend Übernachtungsplätze vorhanden waren. Jetzt werden die Teilnehmer in "Massenquartieren" untergebracht. So wurden etwa in der ehemaligen Frauenklinik Finkenau, in der Astrid-Lindgren-Schule und im UKE Feldbetten aufgestellt. So kommt man sich zwangsläufig näher. "Eine irrsinnige Sache", freut sich Peter Riedesser, "300 Leute - was für ein Aktivposten für den Frieden!"