Der Parteivorsitzende schießt sich im Dauerstreit mit der Union auf die Kanzlerin ein: “Frau Merkel führt nicht.“ Bei seinem Besuch in Hamburg stellt er der FDP ein gutes Zeugnis aus. Bilder der Kanzlerin. Die bisherigen Stationen des Franz Müntefering.

Hamburg. 2005 war doch eigentlich ein ziemlich gutes Jahr für die SPD. Man muss nur der Logik eines Franz Müntefering folgen: die Wahlniederlage? Für den SPD-Chef ein echter Sieg - schließlich wurde Schwarz-Gelb verhindert. Das Ende der Kanzlerschaft Gerhard Schröders? Ging nicht anders. Die Rolle des Juniorpartners in einer Großen Koalition? Hauptsache mitregieren. Der SPD-Vorsitzende erinnert sich in diesen Tagen gern an die Wahl vor vier Jahren, aber er tut dies vor allem aus einem ganz entscheidenden Grund: Laut Müntefering hat die CDU-Chefin Angela Merkel damals allen bewiesen, dass sie ein ganz wichtiges Element in der Politik nicht wirklich gut beherrscht: Wahlkampf.

Darum spricht der 69-jährige SPD-Vorsitzende gegenwärtig so selbstbewusst über die kommende Bundestagswahl. "Frau Merkel ist keine gute Wahlkämpferin." Gleich zweimal sagt Müntefering diesen Satz während seines gestrigen Besuchs in Hamburg als Gast der "Zeit-Matinee" in den Kammerspielen. Er meint auch zu wissen, warum das so ist: "Sie sagt nicht deutlich, was sie will. Und es wird zum guten Schluss das Problem der Union sein, dass sie erst am 28. September - das ist der Tag nach der Wahl - sagt, was sie genau gewollt hat", prophezeit der SPD-Chef.

Es sind nur noch sechs Monate bis zur Bundestagswahl. Und Müntefering nimmt sich seine Kanzlerin inzwischen im Tagestakt vor, zählt ihre Fehler und Unzulänglichkeiten auf und träumt sich öffentlich zum Wahlsieg am 27. September.

Sonderlich frustriert oder enttäuscht wirkt der SPD-Vorsitzende dabei nicht. Müntefering feiert augenblicklich seine ganz persönlichen Anti-Merkel-Tage. Und er tut nur bereits das, was Merkel seiner Meinung nach einfach nicht gut kann: Wahlkämpfen eben. Seine Attacken auf die Kanzlerin hat er dabei wohl kalkuliert. Bei der Matinee im feinen Theater kommen sie eher subtil daher, in seinem jüngsten Interview mit dem "Focus" dagegen schrill und drastisch: "Frau Merkel führt nicht, legt sich nicht fest, sondern schaut sich nur an, wie die Mehrheiten in der Union sich entwickeln", so Müntefering in dem Magazin. "CDU und CSU haben keine Fahne mehr, hinter der sie sich versammeln können. Sie wissen auch nicht, wer die Fahne hält. Frau Merkel tut es jedenfalls nicht."

Die Kanzlerin habe wiederholt in der Koalition getroffene Vereinbarungen nicht in ihrer Partei durchgesetzt, beklagt der SPD-Vorsitzende weiter. Auch Kabinettsbeschlüsse seien im Nachhinein immer wieder von der CSU infrage gestellt worden, ohne dass Merkel eingeschritten sei. "Das macht natürlich die Autorität der Kanzlerin kaputt. Wer an der Spitze einer Regierung steht, darf sich so etwas nicht leisten", so Müntefering.

In Hamburg präsentiert sich Müntefering gemäßigter in der Wortwahl, nicht aber in seiner Botschaft: Er gibt Gas, Merkel bremst. Die SPD zeigt geschlossen Energie, die Union hat weder Mut noch Ideen. Die SPD beweist Regierungsverantwortung, die Bundeskanzlerin zaudert. "Ich merke, wie in der Union Irritation ist über die Richtung, und auch keine Lust auf schnelles Handeln", sagt Müntefering in seinem gewohnt unaufgeregten Duktus auf der Bühne der Kammerspiele. Dies könne sich Deutschland aber nicht leisten. Es gebe im Bundestag nur noch sechs Sitzungswochen bis zur Bundestagswahl. "Meine Erwartung an die Kanzlerin ist, dass sie in der nötigen Weise Druck macht."

Müntefering ist in die Rolle des Mahners geschlüpft, der von der Bundeskanzlerin nichts anderes als die sofortige Fortsetzung der Regierungsarbeit verlangt. Wäre der SPD-Chef noch Vizekanzler wie zu Beginn der Koalition, hätten seine Angriffe wie die am Wochenende eine mittelschwere Koalitionskrise ausgelöst. Aber Müntefering trägt keine Regierungsverantwortung mehr, füllt nur noch "das schönste Amt neben dem Papst" aus und reizt die Unabhängigkeit dieser Rolle bis an die Grenzen aus.

Und wenn er sich schon erlaubt, den Koalitionspartner für politisch bankrott zu erklären, dann gönnt er sich auch, die FDP als potenziellen nächsten Partner einer Ampelkoalition mit den Grünen zu hofieren. "Ja klar" könne er sich Guido Westerwelle als Außenminister vorstellen, sagt er. Genscher und Kinkel seien doch auch gute Vertreter deutscher Interessen im Ausland gewesen. Da es ja für Schwarz-Gelb wie 2005 auch diesmal nicht reichen werde, gehe er davon aus, dass FDP-Chef Guido Westerwelle nicht wie 2005 das Gespräch mit der SPD verweigern werde. "Das macht er nicht noch einmal. Guido Westerwelle ist älter geworden. Wenn er seine Partei dieses Mal wieder nicht in die Regierung bringt, dann wird er alt aussehen." Ein Bündnis mit den Linken, "diesen Parteifrikassierern", schließt der SPD-Chef auch in Hamburg kategorisch aus.

Die Matinee ist vorüber, aber der SPD-Chef hat noch Redebedarf. Beim Hinausgehen fangen ihn Kamerateams ab, also fängt er von Neuem an, über Angela Merkel zu klagen. Sie sei so zaghaft, weil sie nicht riskieren wolle, dass noch mehr Wähler von der Union zur FDP abwanderten, sagt er. Er wünsche sich Ergebnisse noch vor der Wahl bei den Themen Steueroasen, Mindestlohn für Leiharbeiter, Manager-Boni und Börsenumsatzsteuer. Man habe ja auch nur noch wenig Zeit, etwas zu erreichen. Damit meint er vor allem Angela Merkel.