Die SPD-Politikerin über die Verschärfung der Sicherheitsgesetze, eine Senkung des Wahlalters und die Vorzüge der Großen Koalition.

Hamburger Abendblatt:

Frau Ministerin, anders als Großbritannien oder Spanien ist Deutschland bisher einem Terroranschlag entgangen. Haben wir die besseren Sicherheitsbehörden, die wirksameren Abwehrgesetze?

Brigitte Zypries:

Wir haben sehr wache Sicherheitsbehörden, auch die internationale Zusammenarbeit ist gut. Aber wenn man sich die Anschlagsvorbereitungen der Kofferbomber oder der Sauerland-Gruppe vor Augen führt, hatten wir sicherlich auch ein gewisses Quantum Glück.

Abendblatt:

An diesem Mittwoch hat der Prozess gegen die vier Islamisten der sogenannten Sauerland-Gruppe begonnen. Sind die richtigen Konsequenzen aus diesem Anschlagsversuch vor zwei Jahren gezogen worden?

Zypries:

Aus meiner Sicht ja. Künftig werden wir konkrete Handlungen zur Vorbereitung von Anschlägen - wie etwa den Besuch von Terrorcamps - unter Strafe stellen. Wir sehen hier eine Strafbarkeitslücke, die wir noch vor der Bundestagswahl - voraussichtlich im Juni - schließen werden. Der entsprechende Gesetzentwurf ist an diesem Mittwoch Gegenstand einer Sachverständigenanhörung im Bundestag gewesen. Danach wird bereits die Ausbildung für einen Terroranschlag in Zukunft strafbar sein. Das wird die Sicherheit in Deutschland weiter erhöhen.

Abendblatt:

Grüne und FDP haben erhebliche Vorbehalte. Sie warnen vor einem Gesinnungsstrafrecht ...

Zypries:

Das ist absurd. Von Gesinnungsstrafrecht kann keine Rede sein. Strafbar ist die konkrete Umsetzung einer Gesinnung durch Vorbereitungshandlungen und doch nicht der Gedanke selbst. Zudem muss der Täter den Vorsatz haben, tatsächlich einen Terroranschlag zu begehen.

Abendblatt:

Teile der Union verweisen darauf, dass ein Anschlagsvorsatz in der Praxis kaum nachzuweisen sei ...

Zypries:

Das sehe ich anders, und die Kollegen von der Union sind mit mir mittlerweile einer Meinung. Unsere Strafverfolgungsbehören sind daran gewöhnt, den Vorsatz einer Tat zu prüfen. Bei jedem Delikt ist eine subjektive Komponente erforderlich, die nachgewiesen werden muss.

Abendblatt:

Eine andere Konsequenz aus Beinahe-Anschlägen in Deutschland ist die umstrittene Online-Durchsuchung. Generalbundesanwältin Harms hat im Hamburger Abendblatt gefordert, dieses Instrument nicht nur zur Terrorabwehr, sondern auch bei der Strafverfolgung zu nutzen. Wäre das sinnvoll?

Zypries:

Man muss zwei Dinge unterscheiden: Das eine ist die Verwertung von Erkenntnissen aus Online-Durchsuchungen des Bundeskriminalamts in einem späteren Strafprozess. Es gab hierzu in der Tat Überlegungen, aber ich bezweifle, dass sich ein entsprechender Gesetzentwurf noch vor der Bundestagswahl umsetzen lässt. Das andere ist eine eigenständige Befugnisnorm in der Strafprozessordnung, auf deren Basis die Strafverfolgungsbehörden Online-Durchsuchungen im repressiven Bereich durchführen können.

Abendblatt:

Was ist damit?

Zypries:

Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zur Online-Durchsuchung recht zurückhaltend argumentiert. Ich möchte daher gerne zunächst abwarten, wie sich die Befugnisnorm für das BKA in der Praxis bewährt. Das Gesetz sieht ja eine Evaluierung vor.

Abendblatt:

Am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe wächst die Sorge, die Regierung könnte im Kampf gegen den Terror über das Ziel hinausschießen ...

Zypries:

Diese Sorge halte ich für unbegründet. Es ist nichts Ungewöhnliches, dass ein Innenminister und eine Justizministerin, die Regierungsverantwortung haben und für die Sicherheit des Landes in besonderem Maße Sorge tragen, die Dinge aus einem anderen Blickwinkel betrachten als Verfassungsrichter in Karlsruhe.

Abendblatt:

Der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, hat vor einigen Tagen mit einem Abendblatt-Interview für Aufsehen gesorgt. Um der Politikverdrossenheit entgegenzuwirken, regte er eine Änderung des Wahlrechts an. Vor allem solle das Wahlalter von 18 auf 16 Jahre gesenkt werden. Hat er Ihre Unterstützung?

Zypries:

Ich bezweifle, dass man mit einem Wahlrecht ab 16 Jahren der Politikverdrossenheit begegnen könnte. Ich diskutiere viel mit 15- und 16-jährigen Schülern, und ich habe nicht den Eindruck, dass eine Senkung des Wahlalters motivierend für die Auseinandersetzung mit der Politik wäre.

Abendblatt:

Voßkuhle hat die Bundesregierung auch aufgefordert, die verfassungswidrige Regelung zu Überhangmandaten noch vor der Bundestagswahl im September zu korrigieren. Streben Sie das an?

Zypries:

Ja. Es wäre kein besonders gutes Signal, die Bundestagswahl mit einem Wahlrecht zu bestreiten, das in Teilen verfassungswidrig ist. Nach meiner Kenntnis gibt es da aber keinen Konsens mit dem Koalitionspartner. Ich bezweifle, dass es noch vor der Wahl zu einer entsprechenden Rechtsänderung kommt.

Abendblatt:

Die SPD hat den Wahlkampf bereits eingeläutet. Ihr Parteichef Müntefering nennt die Bundeskanzlerin führungsschwach und orientierungslos in der Wirtschaftskrise. Sie erleben Angela Merkel in den Kabinettssitzungen. Teilen Sie den Eindruck?

Zypries:

Ich sehe das Problem, dass Frau Merkel die Auseinandersetzung mit der eigenen Partei nicht mehr sucht. Es ist katastrophal, dass sich die Union aufgrund innerparteilicher Streitereien nicht einmal mehr auf eine Reform der Jobcenter verständigen kann. Da wäre ein Machtwort angebracht gewesen.

Abendblatt:

Sie haben Angela Merkels Führungsstil in der Vergangenheit ausdrücklich gelobt.

Zypries:

Meine Äußerung bezog sich vor allem auf den Umstand, dass Frau Merkel im Kabinett jeden ausreden lässt, nicht auf die politische Führung.

Abendblatt:

Welche Koalition könnte besser auf eine Weltwirtschaftskrise reagieren als die Große Koalition?

Zypries:

Tatsache ist, dass SPD und Union weite Teile der Bevölkerung repräsentieren. In einer Wirtschaftkrise, wie wir sie derzeit erleben, ist eine solch breite Basis von besonderer Bedeutung. Außerdem sind wir im Kabinett gut aufgestellt. Wir können heilfroh sein, dass Frank-Walter Steinmeier Vizekanzler und Außenminister und dass Peer Steinbrück Finanzminister ist.

Abendblatt:

Was ist mit einer Ampel?

Zypries:

Die Große Koalition hat bewiesen, dass sie mit der aktuellen Situation gut umgehen kann. Aber der SPD würde die Bewältigung der Krise auch mit den Grünen und der FDP gelingen.

Abendblatt:

Sind Sie mit der Begrenzung von Managergehältern zufrieden, auf die sich Union und SPD verständigt haben?

Zypries:

Ja. Die Kompromisse, die wir in der Koalition erzielt haben, sind in Ordnung. Wir sollten jetzt aber das Gesetzgebungsverfahren nicht durch immer neue Forderungen, wie sie von Teilen der Union erhoben werden, hinauszögern.

Abendblatt:

An diesem Donnerstag tagt die Arbeitsgruppe der Fraktionen. Vonseiten der SPD wird gefordert, die steuerliche Absetzbarkeit von Vorstandsbezügen zu begrenzen ...

Zypries:

Das ist eine alte Forderung der SPD, auf die wir uns mit der Union in den Verhandlungen nicht einigen konnten: Die Gehälter für Vorstände sollten nur noch bis zu einer Million Euro in voller Höhe als Betriebsausgaben von der Steuer absetzbar sein. Natürlich hoffe ich, dass wir uns in der Arbeitsgruppe damit noch durchsetzen. Wichtig ist allerdings auch, dass wir jetzt die Regelungen, auf die sich Union und SPD bereits verständigt haben, rasch im Bundestag verabschieden. Sie geben vor allem Anreize für nachhaltiges Wirtschaften der Unternehmen. Das ist eine der wichtigen Lehren, die wir aus der aktuellen Krise ziehen müssen.