Als Folge der Krise droht vielen Familien ein Abrutschen in das sozial schwache Milieu.

Hamburg/Berlin/Frankfurt. Der Deutsche Kinderschutzbund schlägt Alarm: Man müsse sich um ein Drittel der deutschen Kinder "große Sorgen machen", sagte Präsident Heinz Hilgers in einem Interview mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Er warnt vor einem massiven Anstieg der Kinderarmut als Folge der Wirtschaftskrise. Dies gelte umso mehr, da nach der demografischen Entwicklung die Kinder "in den armen Stadtteilen" geboren würden. Dagegen sänken die Geburtenzahlen in bürgerlichen, gut situierten Vierteln dramatisch. Aktuell bekommen rund zwei Millionen Kinder Hartz IV, wie das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) mitteilte.

Manch einer fühlt sich an die Einlassung eines FDP-Parlamentariers erinnert. Daniel Bahr hatte 2005 beklagt, dass "in Deutschland die Falschen die Kinder kriegen". Damit meinte er die sozial Schwachen. Vier Jahre später scheint die damals provokative Aussage von der Realität eingeholt. Der Kinderschutzbund befürchtet, dass es in 20 Jahren nur noch zehn Millionen Kinder geben werde, von denen die Hälfte in sozial schwachen Familien aufwachsen werde. "Das ist eine Katastrophe, auf die eigentlich alle Ökonomen aufgebracht reagieren müssten", erklärte Hilgers. Der Präsident des Kinderschutzbundes bekräftigte die Forderung nach einer Kindergrundsicherung (330 Euro pro Monat und Kind) und kritisierte die Konjunkturpakete der Bundesregierung: Die Politik investiere mit Blick auf Kinder und ihre Bildung "nur in Steine". Miriam Gruß, familienpolitische Sprecherin der FDP, sagte dem Abendblatt: "Dass für die Kinder zu wenig Geld da ist, trifft längst nicht mehr nur auf Geringverdiener zu, sondern reicht bis weit in die Mittelschicht hinein. Die Kleinen in dieser Gesellschaft dürfen nicht die Leidtragenden der Politik der Großen Koalition sein. Von der Regierung sind milliardenschwere Hilfsprogramme als Konjunkturhilfe erdacht worden. Gleichzeitig lehnt dieselbe Koalition es aber ab, die Familien angemessen zu entlasten."

Laut dem Armutsbericht 2008 der Bundesregierung gelten in Deutschland heute 1,8 Millionen Kinder tatsächlich als arm. Das sind zwölf Prozent der Kinder unter 15 Jahren. Nach internationalen Kriterien gilt ein Kind dann als arm, wenn es in einem Haushalt aufwächst, der monatlich weniger als die Hälfte des durchschnittlichen Familieneinkommens zur Verfügung hat. Zahlreiche Untersuchungen haben immer wieder belegt, dass Kinder aus armen Familien deutlich schlechtere Bildungschancen haben als Gleichaltrige aus vermögenden Haushalten. Dies gilt sowohl bei den weiterführenden Schulabschlüssen wie dem Abitur als auch beim Zugang zur Hochschule.

Lange Bezugsdauern und wiederkehrende Bedürftigkeit - beides ist laut einer Studie typisch für das Schicksal von Hartz-IV-Empfängern. So waren vom Hartz-IV-Start im Januar 2005 bis zum Dezember 2007 durchgängig mehr als drei Millionen Menschen auf die staatliche Hilfe angewiesen, wie das IAB mitteilte. 78 Prozent derjenigen, die im Dezember 2007 bedürftig waren, erhielten die Grundsicherung schon mindestens zwölf Monate. Und etwa 40 Prozent der Hartz-IV-Empfänger waren spätestens ein Jahr nach ihrem Hartz-IV-Ausstieg erneut auf Unterstützung angewiesen.

Am schnellsten schafften kinderlose Paare und Alleinstehende den Ausstieg aus der Bedürftigkeit; Alleinerziehende sind dagegen am längsten auf Hartz IV angewiesen. Die Hälfte der Alleinerziehenden beziehe auch drei Jahre nach Leistungsbeginn immer noch oder wieder Hartz IV, bei Paaren ohne Kinder sei es ein Drittel, hieß es.