Der Koalitionsausschuss von Union und SPD in Berlin tagte gestern bis in die frühen Morgenstunden. Wenig später besuchte der baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) die Redaktion des Hamburger Abendblatts und bewertete das Resultat.

Hamburg. Der Koalitionsausschuss von Union und SPD in Berlin tagte gestern bis in die frühen Morgenstunden. Wenig später besuchte der baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) die Redaktion des Hamburger Abendblatts und bewertete das Resultat.


Hamburger Abendblatt:

Sechs Stunden Verhandlungen, aber kaum Ergebnisse. Ist die Große Koalition noch handlungsfähig, Herr Oettinger?

Günther Oettinger:

Es war zumindest eine ehrliche Sitzung des Koalitionsausschusses. Bei Mindestlöhnen in der Zeitarbeit wäre jede Einigung entweder ein Nachgeben gegen die Überzeugungen eines der beiden Partner oder ein Formelkompromiss gewesen. Ähnliches gilt für die Reform der Jobcenter. Und bei den Managergehältern entspricht die Erwartung, man könne alles durch Gesetz regeln, nicht der Wirklichkeit - und im Übrigen auch nicht unserer Verfassungsordnung.



Abendblatt:

Also sind Sie zufrieden.

Oettinger:

Es ist richtig, dass die eigentliche Verantwortung für Vergütung und Haftung von Managern bei Kontrollgremien des Unternehmens bleibt. Das Ergebnis des Koalitionsausschusses ist eine logische Folge einer Tagesordnung mit Themen, bei denen es kaum Chancen auf eine sinnvolle Einigung gab. Für mich stellt sich die Frage, ob man nicht bedeutendere Themen diskutieren müsste, wenn so viele hochrangige Köpfe zusammenkommen.



Abendblatt:

Nämlich?

Oettinger:

Ich würde gerne erfahren, wie der 100-Milliarden-Fonds zur Stützung der Wirtschaft umgesetzt werden soll. Die Bundesregierung müsste endlich festlegen, nach welchen Richtlinien die Kredite und Bürgschaften des Bundes und der Kreditanstalt für Wiederaufbau vergeben werden. Um es deutlich zu sagen: Aus einer Lex Opel dürften sich keine Folgefälle ergeben. Die Debatte um Opel und Schaeffler/Conti muss dringend grundsätzlich geordnet werden.



Abendblatt:

Und wie?

Oettinger:

Wer welche Unterstützung bekommt, müssten unabhängige Dritte - etwa ein Beirat aus Finanzfachleuten - auf Antrag des jeweiligen Unternehmens entscheiden.



Abendblatt:

Was würden Sie im Fall von Opel empfehlen?

Oettinger:

Zuallererst muss der Mutterkonzern GM wissen, ob und wie er eine Zukunft von Opel sieht: als rechtlich unselbstständige Produktionseinheit Europa, die nicht mal eine Bankverbindung hat, oder als Unternehmen, das neue Eigentümer finden soll. Wenn GM bereit wäre, Opel in die Freiheit zu entlassen, kann man Investoren finden: Finanzanleger, Branchenteilnehmer, Banken ...



Abendblatt:

... oder den Staat.

Oettinger:

Ich will meinen Kollegen in den Standortländern nicht vorschreiben, was sie zu tun haben. Eine direkte Beteiligung des Bundes in Form von Aktienpaketen halte ich allerdings nicht für denkbar. Eine Teilverstaatlichung von Opel wäre wettbewerbsverzerrend und käme einem Dammbruch gleich, der vielfältige Anträge auf Staatsbeteiligung nach sich ziehen würde - in der Autoindustrie und in anderen Branchen.



Abendblatt:

SPD-Chef Müntefering hält Opel für einen "systemischen Konzern".

Oettinger:

Das ist Unsinn. Eine große Bank wie die Hypo Real Estate ist systemnotwendig, ein Autohersteller wie Opel ist es nicht. Man muss sehen, dass wir bei der Pkw-Herstellung weltweit und auch in Deutschland eine Überproduktion haben. Wer mit roten Zahlen produziert, läuft in der Marktbereinigung Gefahr, das Nachsehen zu haben.



Abendblatt:

Ist nach dieser Koalitionsrunde der Wahlkampf eröffnet?

Oettinger:

Bis Anfang Juli hat die Bundesregierung zunächst weitere wichtige Aufgaben zu erledigen. Dazu gehört auch der Nato-Gipfel in Baden-Baden und Straßburg im April. Die Gestaltung dieses Weltereignisses ist wichtiger als beispielsweise eine Einigung auf Mindestlöhne bei der Zeitarbeit, die niemand braucht.



Abendblatt:

Die Union ist in Umfragen auf 32 Prozent zurückgefallen. Wird das noch was mit 40 plus x im September?

Oettinger:

Ich traue uns 40 Prozent zu. Mit dem X dahinter wäre ich etwas vorsichtig.



Abendblatt:

Wie wollen Sie das Umfragetief überwinden?

Oettinger:

Erstens müssen wir darstellen, wie eine Politik der Union nach der Großen Koalition aussehen könnte - mit einem Partner FDP. Dann werden manche Irritationen in unserer Wählerschaft auch wieder nachlassen. Zweitens wird es eine Bundestagswahl der Innenpolitik, bei der es ganz stark auf Vertrauen und Kompetenz in Bezug auf die wirtschaftliche und soziale Entwicklung ankommt. Die Menschen werden am Ende den wählen, dem sie zutrauen, Deutschland mit genügend Sachverstand durch die Wirtschaftskrise zu steuern.



Abendblatt:

Die Deutschen, das zeigen Umfragen, sind mit der Arbeit von Vizekanzler Steinmeier inzwischen zufriedener als mit der von Kanzlerin Merkel.

Oettinger:

In der Direktwahlfrage liegt die Kanzlerin nach wie vor vorn. Dass Steinmeier aufholen wird, überrascht mich nicht. Auch die SPD wird nicht bei 24 Prozent stecken bleiben, sie ist eine kampagnefähige Partei.



Abendblatt:

CSU-Generalsekretär Dobrindt wirft der Kanzlerin vor, Stammwähler der Union abzuschrecken. Liegt darin das Problem?

Oettinger:

Das ist eher als Profilierungsversuch des neuen Generalsekretärs mit Duldung des Parteivorsitzenden zu werten. Aber klar ist: Angela Merkel muss irgendwann die Uniform der Kanzlerin in den Schrank hängen und die Uniform der Kanzlerkandidatin und Parteivorsitzenden anziehen. Mitte August ist für mich dafür der richtige Zeitpunkt. Wenn wir ein gut vorbereitetes Wahlprogramm haben, das auch die Vorstellungen des wirtschaftlichen und konservativen Flügels berücksichtigt, haben wir beste Chancen. Dann wird auch das Bild von Frau Merkel ein anderes sein. Niemand wird sie als Kompromisskanzlerin der Großen Koalition wahrnehmen.