Angela Merkel dringt im Abendblatt auf schärfere Finanzmarkt-Regeln - und nennt Kriterien für staatliche Kredite.

Hamburg/Berlin. Es ist eine weitere Etappe im Kampf gegen die Rezession nach dem Treffen der europäischen G20-Mitglieder vergangenen Sonntag im Berliner Bundeskanzleramt und vor dem Weltfinanzgipfel am 2. April in London. An diesem Sonntag wird Brüssel der Schauplatz sein, und für die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union geht es darum, ihre auseinanderstrebenden Positionen zu bündeln.

Unmittelbar vor dem Sondergipfel appelliert Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Hamburger Abendblatt an die europäischen Partner, geschlossen und schnell zu handeln, um neue Regeln für die internationalen Finanzmärkte durchzusetzen. "Wir dürfen nicht vergessen: Die Wirtschaftskrise ist durch eine massive Finanzkrise entstanden. Die Europäische Union muss geschlossen dafür sorgen, dass sich das nicht wiederholen kann - und zwar zügig, denn jetzt ist überall die Bereitschaft zum Handeln vorhanden", fordert Merkel. "Wir brauchen eine globale Finanzarchitektur, die durchschaubar ist. Herkunft und Gegenwert von Zertifikaten, Derivaten und anderen Papieren müssen nachvollziehbar sein. Es darf keine weißen Flecken weltweit geben, weder bei Orten noch bei Produkten oder Akteuren der Finanzmärkte."

Unter dem Druck der schwersten Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg droht die EU auseinanderzudriften. Der Überlebenskampf der Autoindustrie sowie die zunehmende Finanznot osteuropäischer Mitgliedsstaaten und hoch verschuldeter Euro-Länder lassen die Nervosität steigen. Der französische Präsident Nicolas Sarkozy ruft nach einem europaweiten Rettungsplan für die Autohersteller, der polnische Ministerpräsident Donald Tusk verlangt einen beschleunigten Zugang seines Landes zur Eurozone. Ungarn, Lettland und Rumänien streben nach Notkrediten der EU. Der tschechische Ministerpräsident und gegenwärtige europäische Ratspräsident Mirek Topolanek warnt in der "Financial Times", ohne Disziplin, Vorsicht und Geschlossenheit werde die EU die Rezession nicht bewältigen und bei der Gestaltung der Zukunft versagen.

Merkel verweist im Abendblatt auf die Anstrengungen Deutschlands. Mit den beiden Konjunkturpakten habe die Bundesregierung "das größte Maßnahmenbündel in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland geschnürt", sagt die Kanzlerin und hebt Bürgschaften für Unternehmen, Verbesserungen bei der Kurzarbeit, Entlastungen für die Bürger und Investitionen in die Infrastruktur hervor. 4,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts sind es, die Deutschland 2009 und 2010 zur Stimulierung der Konjunktur einsetzt - ein Spitzenwert in Europa. Kernziel sei, "möglichst viele Arbeitsplätze zu sichern und gleichzeitig in die Zukunft zu investieren", betont Merkel. "Ich will, dass Deutschland stärker aus der Krise herausgehen soll, als es hineingegangen ist. Wir stützen nicht nur die Konjunktur, sondern machen unser Land durch gezielte Investitionen bildungsfreundlicher und moderner."

In der Diskussion um staatliche Hilfen für angeschlagene Unternehmen wie den Autohersteller Opel erinnert die Kanzlerin daran, dass die Regierung im Rahmen des zweiten Konjunkturpakets die Mittel für Kredite und Bürgschaften "erheblich um 100 Milliarden Euro aufgestockt" habe. Über die Kreditanstalt für Wiederaufbau werde Unternehmen geholfen, die momentan Schwierigkeiten hätten, Kredite zu erhalten, sagt sie - und nennt Kriterien: "Voraussetzung ist, dass das Unternehmen grundsätzlich gesund ist und seine Schwierigkeiten auf die Finanzkrise zurückzuführen sind. Voraussetzung ist dabei stets, dass eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft als unser Mandatar einen Antrag auf Hilfe positiv beurteilt." Merkel hebt hervor, dass die Hilfe nicht auf Konzerne beschränkt sei: "Dies alles gilt für kleinere Betriebe genauso wie für große."

Wie Deutschland und andere Staaten mit der immensen Neuverschuldung umgehen, will die Kanzlerin an diesem Sonntag in Brüssel zum Thema machen. Nichtstun würde die Krise und am Ende die Verschuldung nur verschlimmern, lautet Merkels Credo. Wichtig sei allerdings, den Konsolidierungskurs für die Zeit nach der Wahl nicht aus den Augen zu verlieren. "Beim nächsten Aufschwung müssen die Schulden wieder zurückgezahlt werden", verlangt sie. Daher habe die Regierung einen Investitions- und Tilgungsfonds aufgelegt, der aus Bundesbank-Gewinnen getilgt werde, und die Aufnahme einer Schuldenbremse in das Grundgesetz beschlossen.