Ein persönliches Wort zu der deutsch-polnischen Auseinandersetzung um den Beirat der “Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung“: Wer in diesem...

Ein persönliches Wort zu der deutsch-polnischen Auseinandersetzung um den Beirat der "Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung": Wer in diesem Zusammenhang Erika Steinbach eine Revanchistin nennt, begeht Rufmord!

Mehr als einmal hat sie die Vertriebenen bezeichnet als "Opfer der Politik Hitlers", der "die Büchse der Pandora geöffnet" habe; sie hat sich unmissverständlich von der in der Tat revanchistischen Rechtsberatungsfirma "Preußische Treuhand" distanziert und ausdrücklich betont, dass der Bund der Vertriebenen (BdV) keine Forderungen mehr an Polen stellt. Sie war es, die die Gleichsetzung von Vertreibung und Holocaust zurückwies und den Völkermord an den Juden im deutsch besetzten Europa während des Zweiten Weltkriegs als das bezeichnete, was er ist: ein singuläres Verbrechen. Und sie war es auch, die verantwortlich zeichnete für die erste Ausstellung über das Schicksal der polnischen Vertriebenen. Es waren genau diese neuen Töne aus einem politischen Topos, der sich über Jahrzehnte hin hartnäckig in der Verdrängung der Nazizeit als Voraussetzung für die Vertreibung geübt hatte, die eine neugierige Annäherung meinerseits an das "Zentrum gegen Vertreibung" zur Folge hatte. Und das ganz einfach deshalb, weil ich solche Stimme aus dieser Ecke am wenigsten erwartet hatte. Nicht, dass damit die Hypothek der langjährigen BdV-Direktive "Deutschland - das eigentliche Opfer der Geschichte" schon vollständig abgearbeitet wäre, aber ein Kurswechsel war offensichtlich. Es gibt eine jahrelange, intensiv geführte Korrespondenz zwischen Erika Steinbach und mir, in der es immer wieder um drei Thesen ging:

1. um die Neubewertung der "Charta der deutschen Heimatvertriebenen" vom August 1950, dieses angebliche "document humain", das immer noch als "Grundgesetz" des BdV gilt, obschon sie mit keinem Wort, keiner Silbe, keinem Buchstaben das vorangegangene NS-Morduniversum im deutsch besetzten Europa erwähnt (und zu der Erika Steinbach nach wie vor steht);

2. um die These "Primärverantwortlich für jeden Zivil- und Militärtoten des Zweiten Weltkriegs, eingeschlossen die Opfer des Luftkriegs, der Flucht und der Vertreibung, sind die, die ihn ausgelöst haben: Hitler und das nationale Kollektiv seiner Anhänger (mit der sie Schwierigkeiten hat), und 3. "keine Geschichte der Vertreibung ohne seine Vorgeschichte, wie auch keine Vorgeschichte der Vertreibung ohne die Geschichte der Vertreibung" - die Humanitas ist unteilbar (wozu sie steht).

Dieser Briefwechsel ist mit Konsens und Dissenz geführt worden, aber nicht zwischen einer Revanchistin und einem Überlebenden des Holocaust, sondern mit dem Hintergrund eines beidseitigen respektvollen Suchprozesses. Dass ich schließlich dann doch auf Distanz zum "Zentrum gegen Vertreibungen" ging, hängt damit zusammen, dass in der Öffentlichkeitsarbeit immer wieder die Vorgeschichte der Vertreibung unhinnehmbar zu kurz kommt - eine evident sichtbare, von tief her gesteuerte Scheu aus dem Habitat der Vertriebenen. Der große Sprung in eine überzeugende Empathie für die deutschverursachten Opfer ist also trotz der "neuen Töne" noch zu wagen, Aufarbeitungsbedarf nach wie vor gefragt. Aber zu behaupten, es habe sich gar nichts getan, stößt auf meinen entschiedenen Widerstand.

Deshalb: Verehrter Wladyslaw Bartoszewski, lieber Mitpartisan und Vorreiter bei der "Personalie Erika Steinbach", dieses Postscriptum: Sie waren der Erste, der in einer Rede vor dem Bundestag zum 50. Jahrestag das Leid der deutschen Vertriebenen beschworen hat. Helfen Sie nun mit Ihrem höchst begrüßenswerten Temperament und Ihrer einflussreichen Stimme, das deutsch-polnische Verhältnis aus den Turbulenzen der Polemik auf den Boden einer prinzipientreuen und sachlichen Verhandlungsatmosphäre zu geleiten. Darum bittet Ihr Ralph Giordano.