Zweimal sind alle Deutschen in diesem Jahr an die Wahlurnen gerufen: am 27. September zur Bundestagswahl und bereits am 7. Juni zur Europawahl. Gehen Sie hin?

Zweimal sind alle Deutschen in diesem Jahr an die Wahlurnen gerufen: am 27. September zur Bundestagswahl und bereits am 7. Juni zur Europawahl. Gehen Sie hin? Vor fünf Jahren betrug die Wahlbeteiligung magere 44 Prozent und erreichte einen historischen Tiefstand. Einen weiteren Absturz in der Wählergunst hat Europa nicht verdient.

Natürlich ist es immer leichter, sich gegen etwas auszusprechen, als für etwas Partei zu ergreifen. Und gegen Europa zu sein, der diffusen Melange aus Vorurteilen, Angst, Unsicherheit und Unkenntnis Raum zu geben, ist en vogue. Europa bestimmt längst den Alltag seiner Bürger, aber in den Herzen und Köpfen der Menschen ist es nicht angekommen.

Dabei ist die Europäische Union (EU) das größte friedensstiftende Projekt, das dieser über Jahrhunderte hinweg kriegsgebeutelte Kontinent je erlebt hat. Seit der Gründung der Montanunion 1950 - fünf Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges! - sind Frieden und Wohlstand, die Wahrung von Meinungsfreiheit und Menschenrechten, die grenzenlose Reisefreiheit zwischen Nordkap und Gibraltar, Donau und Atlantik, die Einhaltung von Sozialstandards, Lebensmittelsicherheit und Verbraucherschutz sowie das Recht auf Streik selbstverständlich geworden. Vor mehr als 65 Jahren standen sich Deutschland und Frankreich, Deutschland und Polen als unversöhnliche Kriegsgegner gegenüber. Nach einem Wimpernschlag der Geschichte sind ehemalige Feinde zu Partnern geworden.

Und ganz aktuell: Die gemeinsame Währung Euro hat die teilnehmenden Länder in der Wirtschaftskrise vor Währungsspekulationen und stark schwankenden Wechselkursen bewahrt.

Europa hat ein Vermittlungsproblem. Auch wenn die EU detailliert alle Fakten zu ihrer Arbeit aufbereitet - es hapert an der Übersetzung, daran, den Menschen zu erklären, welche Auswirkung welche Entscheidung auf ihr persönliches Leben hat.

Stattdessen wird Europa als bürokratischer Moloch wahrgenommen, der Krümmungswinkel für Gurken festlegt und Seilbahnrichtlinien für Flachländer erlässt. Dass deutsche Gemüsehändler aber gern genormte Ware behalten möchten und die Bundesländer dem Bund die Zuständigkeit für die Umsetzung der Seilbahnrichtlinie nicht übertragen wollten, wird gerne verschwiegen.

Die Krux ist: Die politische Klasse in Berlin und den Ländern macht Brüssel gern zum Sündenbock. Bei unbequemen Entscheidungen heißt es "die da in Brüssel". Bei jeder Sitzung der verschiedenen Ministerräte aber ist der deutsche Ressortchef oder ein Staatssekretär dabei, um deutsche Interessen zu vertreten und mit abzustimmen. Über Europa zu schimpfen macht sich gerade in Wahlkämpfen gut. Gleichzeitig die EU-Fördergelder für bessere Straßen und Bahnverbindungen zu kassieren ist für Populisten kein Widerspruch.

Deren Tiraden verfangen umso mehr, weil Europa kein einheitliches Gesicht hat. Der auf Eis liegende EU-Reformvertrag hätte Abhilfe geschaffen, denn er sieht einen zweieinhalb Jahre amtierenden EU-Ratspräsidenten vor, der Europa Stimme und Profil geben könnte. Und das Europäische Parlament hätte den Präsidenten der EU-Kommission gewählt, auch eine europäische Persönlichkeit, die demokratisch bestimmt würde.

Die Hamburger Kandidaten fürs Europäische Parlament kennen ihre Stadt, wollen Europa an der Elbe ein Gesicht geben, hanseatische Interessen in Straßburg und Brüssel vertreten. Wer den Kandidaten und Europa eine Chance geben will, geht am 7. Juni wählen.

Mit dem Umstand, sich um Europa zu kümmern, ist es nämlich wie mit dem Umweltschutz: Der beginnt auch bei jedem ganz persönlich zu Haus.