Im Hamburger Wahlkampf wurde er der „Obama von Altona“ genannt. Um sein Bürgerschaftsmandat hat er gekämpft wie sein amerikanisches Vorbild – der SPD-Abgeordnete Bülent Ciftlik. Abendblatt.de hat ihn in der Nacht begleitet, in der aus dem amerikanischen Kandidaten Obama der erste schwarze Präsident wurde.

Es ist fast ein bisschen wie Wahlkampf. Während Hunderte Gäste in der Bucerius Law School eine große Party feiern, hetzt Bülent Ciftlik von einem Termin zum nächsten. Diesmal muss er allerdings keine Stimmen fangen. Er soll erzählen. Von seinen Erfahrungen in Amerika. Wie er Barack Obama beim Parteitag der Demokraten in Denver erlebt hat. Und warum dieser Mann es schafft, die Massen zu begeistern - Rekordwahlbeteiligung inklusive. Eingeladen hat ihn der amerikanische Generalkonsul.

Ciftlik glaubt an Obama. Trotzdem ist er um 20.30 Uhr noch zögerlich. "Es kommt auf Florida an", sagt er und versucht der Antwort nach dem möglichen Sieger auszuweichen. Dann sagt er doch: "Ich glaube, dass Obama gewinnt."

Nächster Termin: 21.00 Uhr Nixdorf Auditorium. Ciftlik soll über die Wahlkampagnen in den USA sprechen. Der Hörsaal ist gerammelt voll. Rund 300 Menschen drängen sich, sitzen auf den Stufen. Ciftlik versucht, die Faszination Obamas zu erklären. "Es gibt drei Gründe aus meiner Sicht. Erstens verkörpert er den amerikanischen Traum, den Aufstieg durch alle Klassen hindurch. Zweitens heilt er Wunden beim Thema Rassismus und drittens ist die Sehnsucht der Amerikaner mit der Ära Bush zu brechen riesengroß."

Ciftlik ist nicht der einzige Bürgerschaftsabgeordnete, der in dieser Nacht den Weg in die Law School findet. "Das darf ich mir doch nicht entgehen lassen", sagt Klaus-Peter Hesse, verkehrspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion, als er gegen 23.00 Uhr eintrifft. Er war früher "schon immer" an Wahltagen im Amerikahaus, erzählt er. "Das hat Tradition."

Im amerikanischen Wahlkampf sieht er einen "Ausblick auf das, was wir in Deutschland, aber auch in Hamburg immer mehr erleben einen Wahlkampf auf eine besondere Art." Hesse ist überzeugt, die Menschen richten sich immer weniger programmatisch aus, sondern wollen einen charismatischen Politiker vor Ort. "Vom amerikanischen Wahlkampf können wir viel lernen, zum Beispiel, wie man Kontakt mit den Menschen aufnimmt." Es reiche nicht aus, nur gute Ideen aufs Papier zu bringen, man müsse diese auch transportieren können.

Hesses Favorit: Barack Obama. "Er verkörpert eine junge Art von Politik", sagt er. Eines steht schon jetzt für ihn fest: "Ich bleibe wach, bis das Ergebnis feststeht." Staatsrat Reinhard Stuth (CDU) ist weniger eindeutig, was die Kandidaten angeht. "Die Demokraten sind uns in Wirtschafts- und Gesellschaftsfragen näher, in der Außenpolitik ist das nicht unbedingt so", sagt er. Er glaubt, dass Europa "mit beiden leben kann".

Seine Frau, die CDU-Abgeordnete Bettina Machczek-Stuth, ist sich sicher und weniger diplomatisch als ihr Mann. "Obama wird gewinnen", sagt sie. Was allerdings für Europa gut sei, werde sich zeigen. Eine Prognose wagt sie schon an diesem Abend: "Obama wird uns in Europa mehr fordern."

Um 0.30 Uhr flimmern über die Großbildleinwand im Moot Court die ersten Ergebnisse. Umringt von einer Gruppe Jusos sieht Bülent Ciftlik, wie Kentucky an John McCain geht. Ciftlik bleibt gelassen. "Das war zu erwarten."

Um 1.50 Uhr gibt es das erste Bier. Nur zehn Minuten später wird auch Ciftlik nervös. 15 Staaten geben ihre Prognosen bekannt. Ciftlik hält es nicht mehr auf seinem Platz. Er tänzelt von einem Bein auf das andere. Sein Blick ist starr auf die Leinwand gerichtet. Plötzlich geht ein Leuchten über sein Gesicht die Erleichterung ist förmlich greifbar. 13 der 15 Staaten werden für Obama gewertet. Im Saal wird applaudiert Jubelrufe. Ciftlik kann kaum glauben, was er da sieht. Mit einem solch klaren Ergebnis hat selbst er um diese Zeit nicht gerechnet.

Und es geht so weiter. Um 3 Uhr liegt Obama immer deutlicher vor 174 Wahlmännerstimmen für Obama, 49 für McCain. In der Bucerius Law School harren nur noch die Hartnäckigsten in einem Hörsaal der Law School aus. Waren es vor einigen Stunden noch mehr als 2500 Gäste, ist die Zahl nun auf wenige Hundert geschrumpft. Einer von ihnen, der Abgeordnete Ciftlik. Das Ergebnis erlebt er dann aber doch nicht im Hörsaal, sondern im tiefen, bequemen Sessel der Vip-Lounge: McCain 163, Obama 338 Stimmen. Der amerikanische Kandidat Barack Obama ist der 44. Präsident der Vereinigten Staaten. Und der "Obama von Altona"? Der ist an diesem morgen sehr glücklich und sehr müde.