Der schwarze Anzug unter der Klarsichthülle trägt die Nummer “12777“ und einen Zettel mit dem Namen des Besitzers: “Obama, Barack“. Gewöhnlich hole...

Chicago. Der schwarze Anzug unter der Klarsichthülle trägt die Nummer "12777" und einen Zettel mit dem Namen des Besitzers: "Obama, Barack". Gewöhnlich hole der Senator seine Kleider selbst ab, sagt die freundliche Dame im Golden Touch, aber heute werde sein Fahrer kommen. Die Reinigung in Hyde Park fügt sich zögernd in die Rolle eines Hoflieferanten. Noch reden sie mit Reportern: "12777 ist eine Glückszahl; Obama will den Anzug heute Abend im Grant Park tragen."

Ein herrlich warmer Spätsommertag hat sich nach Chicago verirrt. Selbst der Himmel wählt Obama, sagen die Leute. Hyde Park, die bürgerliche Enklave mit der University of Chicago mitten in der South Side, geht am Wahltag seinen Geschäften nach wie immer. Die Leute haben sich an die Absperrungen um das Haus der Obamas gewöhnt, Anwohner müssen Ausweise zeigen.

Chester McSwain (60) steht vor dem Hyde Park Hair Salon, Obamas Friseur, und hat Tränen in den Augen. "Ich hoffe, Barack Obamas Wahl bedeutet den Jungen halb so viel wie mir." McSwain ist Nachtklubsänger, Trompeter und Lehrer an der Kenwood Academy, einer der besten öffentlichen Highschools des Landes. Er sei noch nie so stolz auf sein Land gewesen, sagt er.

Hinter McSwain hat Obamas Friseur die Tür verschlossen und einen Vorhang vorgezogen. Zu viele Reporter und Fernsehteams haben Zariff gefragt, wie das denn so sei, den "Obama Cut" zu schneiden, so alle neun Tage, und des Senators Ohren zu biegen.

Leibfriseur, Hofreinigung, die Banalität ist wohltuend. Hyde Park und die South Side erstarren nicht in Ehrfurcht vor ihrem berühmtesten Sohn. Im Chant, einer Kneipe, keinen Steinwurf von seinem Friseur entfernt, kommt der Senator ab und an vorbei, sagen sie. Heute gibt das Chant 20 Prozent Rabatt bei Vorlage der Quittung, die nachweist, dass man gewählt hat.

Das Jimmy's ist eine schmuddelige Berühmtheit in der Gegend. Schwarz und Weiß mögen das Lokal, Arbeiter, Studenten, Schluckspechte. Die Fernseher laufen, CNN kommt mit Hochrechnungen. Aber die Studenten lärmen und lachen, als gehe sie die Wahl nichts an. Etwas zu cool. Wählen war anstrengend genug.

Matt Ginsberg-Jaeckle hat gewählt und ist zornig. Er ist Mitte zwanzig und steht an der Bar des Zodiac Room im Taste Entertainment Center. Matt ist der einzige Weiße auf der Wahlparty von Aktivisten, "community organizer" für die Armen in einer gottverlassenen Ecke der South Side in der South Lowe Street Ecke 63te Straße. Brachen, Vernachlässigung, asozialer Wohnungsbau. Er will an diesem Abend nichts Schlechtes über Obama sagen. Aber für ihn sind die Demokraten und die Republikaner "zwei Köpfe desselben Monsters". Genauso rassistisch, sagt er, genauso korrupt.

Es ist bald acht Uhr, und noch kein Sieg Obamas in einem roten Staat. Die Kommentatoren spielen schon wieder auf Sicherheit. Die rot-blaue Landkarte erinnere sehr an 2000 und 2004, vielleicht seien die Demoskopen ja doch ihrem Wunschdenken erlegen. Willie J.R. Feming (35) hält unterdessen mit donnernder Stimme Vorträge. "Selbst wenn Obama heute Nacht siegt, geht morgen der Überlebenskampf für diese Leute weiter. Obama zahlt nicht ihre Miete und ihre Raten."

Marie Simmons, die Mitbesitzerin des Taste Entertainment Centers hat dunkelblond gefärbte lange Haare. Sie kam als Mädchen aus Mississippi, eines von sechs Kindern; ihre Urgroßeltern waren Sklaven, die Großeltern noch auf Plantagen geboren. Marie erinnert sich an die Angst nachts, wenn weiße Mobs Männer holten zum Lynchen. Sie stopfte ihre Löcher in den Schuhsohlen mit Pappe aus und betete, dass es nicht regnete. Chicago war der Himmel für sie. Mit 15 bekam sie das erste von drei Kindern. "Ich habe immer gearbeitet und nie staatliche Almosen angenommen."

Angst um Barack Obama verfolgt sie, "die haben auch die Kennedys und Dr. King getötet". Seine Präsidentschaft sei ein Traum, sagt sie.

Drei Stunden später wird er wahr. Das Taste Entertainment Center explodiert vor Stolz, Glückstaumel, es fließen Tränen. Im Grant Park bebt die Erde. Yes, they can.

Im Grant Park in Obamas Heimat Chicago bebte die Erde, als sein Traum und der seiner Anhänger wahr wurde. Yes, they can.