Syrische Opposition berät heimlich in Berlin. Türkei schließt Grenzübergänge. Unesco weitet Hilfe aus. Heftige Gefechte in den Städten.

Beirut/Istanbul/Bonn. Die Lage in Syrien spitzt sich täglich weiter zu. Längst wird an vielen Fronten gleichzeitig gekämpft: Während das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen gegen die schlechte Versorgung im Land kämpft und seine Nothilfe für Kinder und ihre Familien ausweitet, traf sich die syrische Opposition in Berlin mehrfach zu Geheimverhandlungen, um über die Zeit nach einem Sturz des Assad-Regimes zu sprechen. Die Türkei ordnete die Schließung aller Grenzübergänge ins Nachbarland an und syrische Regierungstruppen bekämpfen die Aufständischen in den Metropolen Damaskus und Aleppo weiter mit rigoroser Härte.

Wie Aktivisten am Mittwoch berichten beschossen in der Hauptstadt Kampfhubschrauber das südliche Viertel Al-Hadschar al-Aswad, Das Gebiet ist eine der letzten Hochburgen der Rebellen in Damaskus, nachdem sie in den vergangenen Tagen von den Truppen des Regimes von Präsident Baschar al-Assad aus etlichen anderen Stadtvierteln verdrängt worden waren.

+++ Warum die USA den Sturz von Assad fürchten +++

In mehreren Bezirken der nordsyrischen Metropole Aleppo lieferten sich Regierungstruppen und Rebellen am Mittwoch heftige Gefechte. Umkämpft waren unter anderen das Einwohnermeldeamt und das lokale Hauptquartier der regierenden Baath-Partei, meldeten syrische Aktivisten. Auch in Aleppo hatte das Regime in den letzten Tagen Gebiete von den Rebellen zurückerobert. Am Dienstag waren bei Kämpfen und Razzien der Regierungstruppen landesweit mehr als 160 Menschen ums Leben gekommen, unter ihnen 119 Zivilisten. Das teilten die syrischen Menschenrechtsbeobachter in London mit.

Währenddesen versorgt Unicef Flüchtlinge im Land und außerhalb der Grenzen mit Hygienesets, Babybedarf und speziellen Lebensmitteln gegen Mangelernährung. Wie die Organisation am Mittwoch in Köln mitteilte, würden die Hilfsgüter mit der Unterstützung von lokalen Partnern in Flüchtlingslager sowie Schulen oder Moscheen gebracht, wo viele Syrer Zuflucht suchen. Insgesamt beziffert Unicef die Zahl der Menschen, die in Syrien den vergangenen Tagen mit Hilfsgütern erreicht werden konnten, auf 22.000.

+++Türkei schließt Grenzübergänge nach Syrien+++ Obwohl der Ausgang des Konfliktes noch ungewiss ist, trafen sich Vertreter der syrischen Opposition in Berlin mehrfach zu Geheimverhandlungen, um über die Zeit nach einem Sturz des Assad-Regimes zu sprechen. Die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin bestätigte entsprechende Presseberichte am Mittwoch. Im August wolle die Verhandlungsgruppe ein umfangreiches Dokument veröffentlichen, sagte die persönliche Referentin von SWP-Direktor Volker Perthes. Dieses Dokument könne als Grundlage für eine Verfassungsdiskussion in Syrien dienen. Es stelle den Konsens der Opposition darüber dar, wie eine neue Verfassung beschaffen sein müsse. Hinzu komme, wie Armee, Justiz, Sicherheitsdienste und die Wirtschaft reformiert werden und unterschiedliche Konfessionen zusammenleben könnten. Unter den Teilnehmern der Treffen sind Medienberichten zufolge Ex-Generäle, Wirtschafts- und Justizexperten sowie Vertreter aller Konfessionen und Ethnien in Syrien.

+++ Weiterer enger Vertrauter von Assad bestätigt Flucht +++

Die Opposition strebe eine gemeinsame Strategie an, um nach einem möglichen Sturz des syrischen Diktators Baschar al-Assad den Übergang der Macht zu organisieren und einen Zusammenbruch der syrischen Gesellschaft zu verhindern, hieß es. Die syrische Opposition hatte sich in der Vergangenheit zersplittert und teils zerstritten gezeigt, etwa über die Frage einer militärischen Intervention aus dem Ausland.

Als Antwort auf die zunehmende Gewalt in Syrien hat die Türkei die Schließung aller Grenzübergänge ins Nachbarland angeordnet. Ab Mittwoch sollten die drei noch offenen Übergänge geschlossen werden, sagte ein Mitarbeiter des Handelsministeriums der Nachrichtenagentur Reuters. Damit wird insbesondere der Warenhandel zwischen den beiden Staaten unterbunden. Flüchtlinge aus Syrien gelangen über Schleuserrouten in die Türkei.

Im Kampf gegen den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad haben die Aufständischen mehrere Grenzübergänge unter ihre Kontrolle gebracht. Die Regierung in Ankara hat Assad zum Rücktritt aufgefordert. Bei dem seit 16 Monaten anhaltenden Aufstand in Syrien sind nach Schätzungen der Opposition 18.000 Menschen ums Leben gekommen, Tausende sind die Nachbarstaaten geflüchtet.

Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR sind mehr als 120 000 syrische Flüchtlinge in Jordanien, im Libanon, in der Türkei und im Irak registriert worden. Nach Angaben der Regierungen seien die wirklichen Zahlen jedoch noch weitaus höher, erklärte das UNHCR am Mittwoch in Bonn. Viele Flüchtlinge seien auf humanitäre Hilfe und auf Spenden angewiesen.

Drei Viertel der Flüchtlinge sind den Angaben zufolge Frauen und Kinder. „Ich bin den Nachbarländern sehr dankbar, dass sie die Grenzen für die Flüchtlinge offen halten“, sagte der UN-Flüchtlingskommissar António Guterres. In den aufnehmenden Gemeinden fehlten jedoch Unterkünfte, Wasser, Medikamente und Nahrungsmittel.

+++Israel warnt syrisches Regime vor Einsatz von Chemiewaffen+++

Heftige Kämpfe zwischen Rebellen und syrischen Regierungstruppen haben nach Oppositionsangaben auch in der Nacht auf Mittwoch wieder weite Teile der Millionenstadt Aleppo erschüttert. Zuvor hatte Russland Syrien vor dem Einsatz von Chemiewaffen gewarnt. Das russische Außenministerium erklärte am Dienstag in Moskau, Syrien habe eine Konvention zum Verbot von Chemiewaffen unterzeichnet. Die russische Regierung erwarte, dass die Führung in Damaskus ihre internationalen Verpflichtungen einhalte.

Israel kündigte sofortiges Handeln an, sollte die radikalislamische Hisbollah syrische Lager mit chemischen und biologischen Waffen plündern. „Für uns ist das der Kriegsfall“, sagte Außenminister Avigdor Lieberman im israelischen Radio. Bereits in den vergangenen Tagen hatten israelische Politiker gewarnt, dass die Streitkräfte des Landes bereit seien, die Inbesitznahme syrischer Waffen durch die libanesische Hisbollah-Miliz mit einem Angriff auf die Waffenarsenale zu verhindern.

Ein enger Vertrauter des syrischen Präsidenten Baschar Assad und ranghoher Kommandeur bestätigte unterdessen seine Flucht aus Syrien. Brigadegeneral Manaf Tlass, Sohn eines früheren Verteidigungsministers, sagte dem Fernsehsender Al Arabija, die Syrer müssten jetzt zusammenarbeiten, um ein neues, demokratisches Land aufzubauen. Es war sein erster öffentlicher Auftritt, seit er sich Anfang Juli ins Ausland absetzte. Sein langes Schweigen hatte Spekulationen aufkommen lassen, ob er sich dem Aufstand anschließen oder nur dem Bürgerkrieg entkommen wollte. (dapd/rtr)