Heftige Kämpfe in der Hauptstadt, Armeeflüchtige, schwere Vorwürfe von Diplomaten: Der UN-Gesandte sieht Syrien an einem Scheideweg.

Teheran/Beirut/Istanbul. Der Druck auf Syriens Präsidenten Baschar al-Assad ist so stark wie nie: Heftige Kämpfe zwischen Regierungstruppen und Rebellen in Damaskus, schwere Vorwürfe eines Ex-Botschafters gegen den syrischen Machthaber, weitere Überläufe von Armeeangehörigen - und selbst Syriens wichtigster Verbündeter in der Region, der Iran, hat Kontakt mit der Opposition aufgenommen. Zwar hat der Iran stets betont, Assad an der Macht halten zu wollen, doch der Despot scheint mehr denn je in Bedrängnis. Die Opposition dagegen ist hoffnungsvoll. Auch der UN-Sondergesandte Kofi Annan sieht den Konflikt in einer entscheidenden Phase.

„Wir stehen jetzt an einer Kreuzung, einem Scheideweg, dies ist ein Schlüsselmoment“, sagte Annan am Dienstag bei einem Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in Moskau. Er rufe alle Seiten auf, die „tragische Krise“ in Syrien endlich zu beenden. Putin sicherte Annan die Unterstützung Russlands bei den Friedensbemühungen zu. „Wir werden alles tun, um Ihnen zu helfen“, sagte der Kremlchef.

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Die syrische Muslimbruderschaft hofft sogar, dass die Straßenkämpfe in Damaskus den Niedergang des Regimes beschleunigen werden. In einer Erklärung, die von der Oppositionsgruppe am Dienstag nach einem Treffen in Istanbul veröffentlicht wurde, hieß es: „Die Schlacht unseres Volkes, die im Moment im Herzen der syrischen Hauptstadt tobt, wird bald die Festung des Tyrannen erreichen, der die Schuld trägt an allem, was unserem Volk angetan wird.“ Die sunnitische Muslimbruderschaft forderte ausdrücklich auch die Christen, Alawiten und Angehörige anderer Minderheiten an, sich den Anti-Assad-Protesten anzuschließen.

„Syrische Truppen versuchen mit Hilfe von Panzern, das Viertel Al-Tadamon zu stürmen“, sagte der Aktivist Haytham al-Abdallah aus Damaskus am Dienstag. Am Stadtrand setze das Regime auch Kampfhubschrauber ein. Die bewaffnete Opposition habe ihrerseits eine breit angelegte Militäroperation gegen Regierungseinheiten in der Hauptstadt begonnen, sagte Abu Omar, ein Kommandeur der Freien Syrischen Armee. Berichte von unabhängigen Beobachtern über die Lage in Damaskus lagen zunächst nicht vor.

Aktivisten meldeten, zahlreiche Familien seien nach Angriffen der Armee aus dem Al-Asali-Viertel in Damaskus geflohen. Am Dienstag zählte die Allgemeine Kommission für die Syrische Revolution bis zum Vormittag insgesamt elf Tote, darunter zwei Deserteure. Die meisten Opfer habe es in der Provinz Damaskus-Land gegeben. Die Muslimbruderschaft berichtete, Deserteure hätten in der Nacht eine Polizeiwache im Al-Kadam-Viertel angegriffen. Das Staatsfernsehen interviewte Bürger auf der Straße, um zu zeigen, dass die Lage ruhig sei. Doch im Hintergrund waren Schüsse zu hören.

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Laut Opposition habe sich zudem eine Gruppe syrischer Diplomaten für einen friedlichen Machtwechsel in Damaskus ausgesprochen. Eine entsprechende Erklärung im Namen einer Gruppe, die sich „Syrische Diplomaten für den zivilen demokratischen Staat“ nennt, wurde am Dienstag auf der Website „All4Syria“ veröffentlicht. Darin heißt es: „Wir lehnen jede Form von ausländischer Militärintervention in Syrien ab, egal unter welchem Vorwand.“ Die Gruppe betont ihre Unterstützung für die Revolution und fordert das Regime auf, sein Scheitern einzugestehen. Die Mitglieder der Gruppe, die aus Sicherheitsgründen anonym bleiben wollten, forderten ihre Kollegen im Außenministerium auf, sich ihnen anzuschließen.

Auch der Iran hat nach eigenen Angaben Gespräche mit den Regimegegnern in Syrien geführt. „Der Iran hatte Kontakte mit der syrischen Opposition“, sagte ein Sprecher des iranischen Außenministeriums am Dienstag in Teheran, ohne Details zu nennen. Zugleich bekräftigte er die Bereitschaft des Irans, in dem blutigen Konflikt als Vermittler und Gastgeber für Friedensgespräche zu fungieren. Die Anliegen der syrischen Opposition sollten in angemessener Atmosphäre und ohne die Einmischung fremder Länder angeschnitten werden können. Der Iran hatte sich bereits am Sonntag als Vermittler ins Gespräch gebracht. Das Land unterstützt den Friedensplan von Syrien-Sondervermittler Kofi Annan aber nur unter der Bedingung, dass Assad an der Macht bleibt.

In der Nacht zum Dienstag ist es unterdessen zu weiteren Überläufen von Armeeangehörigen gekommen. Ein syrischer Brigadegeneral und weitere Offiziere sind nach türkischen Angaben in das Nachbarland geflüchtet. Sie seien unter einer Gruppe von 1280 Syrern gewesen, die über die Grenze in die Provinz Hatay gekommen seien, verlautete aus türkischen Behördenkreisen. Damit seien nun 18 Generäle, darunter einer im Ruhestand, in die Türkei geflohen. Insgesamt suchten demnach bislang 42.680 Menschen aus Syrien Schutz im Nachbarland.

Am Dienstagmorgen sagte der ehemalige syrische Botschafter im Irak, Nawaf Fares, dem britischen Rundfunksender BBC, dass er einen Einsatz von Chemiewaffen gegen die Opposition nicht ausschließe. Unbestätigten Berichten zufolge seien solche Waffen in der Stadt Homs bereits anwendet worden, sagte Fares. Außerdem erklärte er, die Regierung von Präsident Assad habe Bombenangriffe in Abstimmung mit der al-Qaida organisiert.

Auf die Frage, ob Assad Chemiewaffen einsetzen könnte, sagte Fares der BBC: „Es gibt Informationen, unbestätigte Informationen natürlich, dass chemische Waffen in der Stadt Homs teilweise eingesetzt wurden.“ Assad gebärde sich wie ein verwundetes Tier, das in die Ecke gedrängt worden sei. Überraschend war Fares' Äußerung, wonach sunnitische Mitglieder der al-Qaida mit dem Regime kooperieren, das von der Minderheit der Alawiten dominiert wird. Es gebe genügend Beweise in der Geschichte, dass Feinde bei gemeinsamen Interessen zusammenarbeiteten, erklärte er. Die al-Qaida suche Bewegungsmöglichkeiten und Unterstützung, während die Regierung das syrische Volk terrorisieren wolle.

Fares ist der prominenteste Politiker, der sich seit Beginn des Aufstands von Assad losgesagt hat. Er hatte führende Positionen in der Baath-Partei und bei den Geheimdiensten inne und war Gouverneur in mehreren Provinzen. Fares hatte Assad in der vergangenen Woche die Gefolgschaft gekündigt und angekündigt, er wolle künftig die Opposition unterstützen.

Mit Material von dpa/dapd/rtr