Ein brisanter Bericht des US-Militärs in Bagram über die düstere Lage in Afghanistan enthüllt das Doppelspiel Pakistans zulasten des Westens.

Hamburg. Mehr als ein Jahrzehnt nach dem Einmarsch amerikanischer Truppen in Afghanistan und dem Sturz des Talibanregimes bereiten sich die radikalislamischen Milizen auf eine Rückkehr an die Macht in Kabul vor.

Sie werden dabei offenbar massiv unterstützt von Pakistan, namentlich dem mächtigen pakistanischen Geheimdienst Inter Services Intelligence (ISI). Diese brisanten Aussagen, die geradezu geeignet scheinen, den gesamten Afghanistan-Feldzug sowie die amerikanisch-pakistanische Kooperation im Kampf gegen den islamistischen Terrorismus ad absurdum zu führen, sind in einem "streng geheimen" US-Bericht enthalten, der jetzt britischen Medien zugespielt wurde.

Dieser Report, der im vergangenen Monat von den amerikanischen Truppen auf der Luftwaffenbasis Bagram für hohe Offiziere der Nato angefertigt wurde, basiert nach Angaben des britischen Senders BBC auf Material aus rund 27.000 Befragungen von mehr als 4000 gefangenen Taliban, Al-Qaida-Kämpfern und ausländischen Söldnern. Danach ist Pakistan über den Aufenthaltsort von jedem ranghohen Talibanführer genau im Bilde. "Pakistans Manipulation der höheren Talibanführung hält unvermindert an", heißt es in dem Report. Darin wird ein in Haft sitzender ranghoher Talibankommandeur mit den Worten zitiert: "Pakistan weiß alles. Es kontrolliert alles. Die Taliban sind nicht der Islam - die Taliban sind Islamabad."

Die Enthüllungen werfen ein bezeichnendes Licht auf die Spannungen zwischen den USA und Pakistan. Offiziell sind beide Staaten Verbündete im Kampf gegen den islamistischen Terrorismus - doch vor allem der pakistanische Geheimdienst ISI steht seit Jahren unter dem Verdacht, militante Islamisten gegen die US-Truppen zu unterstützen. Der ISI mit seinen rund 10.000 Offizieren und Agenten ist ein Staat im Staate, der von der zivilen Führung in Islamabad nur unzureichend kontrolliert werden kann und der sogar eine eigene Außenpolitik betreibt.

Am 2. Mai vergangenen Jahres war Al-Qaida-Führer Osama Bin Laden von der amerikanischen Eliteeinheit Navy Seals Team Six in seinem festungsartigen Anwesen in der pakistanischen Stadt Abbottabad erschossen worden.

Bin Laden hatte dort jahrelang gelebt - in unmittelbarer Nähe eines ISI-Hauptquartiers und einer starken Garnison der pakistanischen Armee.

Die USA mussten davon ausgehen, dass Bin Laden von der pakistanischen Führung geschützt wurde, und hatten Islamabad nicht vorher über die Militäroperation informiert. Die Aktion, bei der amerikanische Hubschrauber unbemerkt tief in pakistanisches Territorium eingedrungen waren, wurde von den Generälen in Islamabad als unerhörte Erniedrigung empfunden.

Anfang der Woche hatte US-Präsident Barack Obama eingeräumt, dass der US-Geheimdienst CIA nach wie vor mit Kampfdrohnen Jagd auf Taliban- und Al-Qaida-Führer auf pakistanischem Territorium macht.

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Er hatte kürzlich aber auch erklärt, die Schwungkraft der Taliban sei nunmehr gebrochen. Ähnlich hatten sich Kommandeure der Internationalen Schutztruppe geäußert. Der US-Report aus Bagram widerspricht dieser Einschätzung ganz entschieden. Demnach ist der Talibanaufstand keineswegs besiegt. "Obwohl die Taliban im Jahre 2011 erhebliche Verluste erlitten haben, bleiben ihre Stärke, ihre Motivation, ihre Geldquellen und taktischen Fähigkeiten intakt." Das liegt offenbar in erheblichem Maße an der Hilfe des ISI: "Ranghohe Talibanführer treffen sich regelmäßig mit ISI-Offizieren, die Ratschläge bezüglich der Strategie geben und Bedenken der pakistanischen Regierung weitergeben", heißt es in dem Papier.

"Wir sind seit Langem besorgt über die Bindungen zwischen Elementen des ISI und einigen extremistischen Netzwerken", sagte George Little, ein Sprecher des Pentagons, dem Londoner "Guardian". Damit ist vor allem das militante radikalislamische Netzwerk der Familie Hakkani gemeint. Diese Miliz, die eng mit den Taliban und al-Qaida verbündet ist, wird für etliche der blutigsten Terroranschläge in der Region verantwortlich gemacht. US-Admiral Mike Mullen, bis zum vergangenen September Generalstabschef der US-Streitkräfte, hat den ISI beschuldigt, das Hakkani-Netzwerk bei der Planung und Ausführung von Anschlägen unter anderem gegen amerikanische Truppen aktiv unterstützt zu haben. Die Häftlinge, deren Aussagen in dem US-Report zitiert werden, bestritten offenbar, dass nur einige "abtrünnige Elemente" im ISI die Extremisten unterstützten. Das war immer die Sprachregelung der pakistanischen Regierung gewesen.

Der Bericht führt auch aus, dass der Einfluss der Taliban in jenen Gebieten, aus denen sich die Nato zurückgezogen hat, wieder gewachsen ist - ohne dass die Armee irgendeinen Widerstand dagegen leisten würde. Aufgrund der enormen Korruption der Regierung ziehe die Bevölkerung oft eine Talibanherrschaft vor. Hinzu kommt, dass sich die Taliban in jüngster Zeit etwas moderater geben als in früheren Jahren und damit neue Anhänger anziehen. Der "Guardian" meinte, der brisante Report aus Bagram könne durchaus als "Eingeständnis der Niederlage" des Westens betrachtet werden. Vertreter der Regierung in Islamabad wiesen die Aussagen des Berichts dagegen als "belanglos" zurück.

Große Teile Afghanistans sind bereits an die neu aufgestellten afghanischen Sicherheitskräfte übergeben worden, die jedoch als weitgehend inkompetent und korrupt gelten. Die letzten ausländischen Truppen sollen den Hindukusch bis Ende 2014 verlassen haben - auch die Bundeswehr. Pakistan paktiert auch deshalb mit den Taliban, um die Situation nach dem Abzug des Westens in Afghanistan kontrollieren zu können. Islamabad befürchtet, es könne ein ähnliches Chaos in der Region ausbrechen wie jenes, das sich 1989 nach dem Abzug der Sowjetarmee zugetragen hatte. Zudem will Pakistan verhindern, dass Indien seinen Einfluss auf Afghanistan ausdehnen könnte. Indien und Pakistan, die bereits vier Kriege gegeneinander geführt haben, verfügen beide über Atomwaffen.