Juppé kritisiert das vom Senat gebilligte Völkermord-Gesetz als nicht zweckdienlich. Türkei: Gesetz ein Schlag gegen die Meinungsfreiheit.

Paris. Die kritischen Stimmen aus der französischen Regierung am umstrittenen Genozid-Gesetz werden lauter: Frankreichs Außenminister Alain Juppé bezeichnete das vom Senat gebilligte französische Völkermordgesetz als nicht zweckdienlich. Juppé rief die Türkei Im französischen Pay-TV-Sender Canal+ auf, nicht überstürzt auf die Annahme des Gesetzes zu reagieren. Das Gesetz stellt die Leugnung von gesetzlich als Völkermord eingestuften Gräueltaten unter Strafe. Darunter zählt in Frankreich auch die Tötung zahlloser Armenier während des Ersten Weltkriegs im Osmanischen Reich. Die Türkei bestreitet, dass es einen solchen Völkermord gegeben habe und verurteilt das Gesetz scharf.

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Juppé betonte Frankreichs Interesse an guten Beziehungen zur Türkei. Sein Land sei einer der wichtigsten Investoren am Bosporus. Frankreich brauche die Türkei und die Türkei brauche Frankreich. „Ich reiche die Hand zur Versöhnung und hoffe, dass man sie eines Tages ergreift.“ Das Gesetz war auch innerhalb der konservativen Regierung umstritten. Das französische Außenministerium hatte vor der Abstimmung im Senat am Montagabend vergeblich zur Besinnung aufgerufen. Gerade auch mit Blick auf die eskalierende Irankrise und den Konfliktherd in Syrien sieht Juppé die Regionalmacht Türkei als wichtigen Verbündeten, der auch in Nordafrika bedeutenden Einfluss ausübt. Oppositionspolitiker François Bayrou kritisierte das Gesetz grundsätzlicher. „Dieses Gesetz ist ein schwerer Fehler“, sagte Bayrou, der in Umfragen für die Präsidentschaftswahlen nur einige Prozentpunkte hinter Amtsinhaber Sarkozy liegt. „Es ist nicht die Aufgabe des französischen Staates, Geschichte zu schreiben – und noch weniger diejenige von anderen Ländern“, sagte Bayrou.

Das türkische Außenministerium hat die Verabschiedung des Völkermordgesetzes am Dienstag scharf verurteilt. Die Entscheidung des französischen Senats sei unverantwortlich, erklärte das Ministerium. Das Gesetz sei ein Schlag gegen die Meinungsfreiheit und die Freiheit der Wissenschaft. In der Hauptstadt Ankara wurde erwartet, dass Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan im Laufe des Tages weitere Sanktionen seines Landes gegen Frankreich erläutert. Der von der konservativen UMP-Abgeordneten Valérie Boyer eingebrachte Gesetzestext sieht Strafen von bis zu einem Jahr Haft und 45.000 Euro bei der Leugnung der offiziell anerkannten beiden Völkermorde vor.

„Verhängnisvolle Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen Frankreich und der Türkei“ hatte der türkische Vizeregierungschef Bülent Arinc noch wenige Stunden vor der Abstimmung im Pariser Senat angedroht. Kein Land könne es sich leisten, die Freundschaft der Türkei zu verlieren. Sanktionen könnten sich vor allem auf staatliche Investitionen erstrecken - wie etwa den Kauf von Atomkraftwerken des französischen Herstellers Areva. Selbst eine mögliche Airbus-Bestellung der nationalen Fluggesellschaft Turkish Airlines könnte fraglich werden. Das Land ist mit 400 großen Unternehmen der zweitwichtigste Investor am Bosporus. Den Handelsaustausch fürs laufende Jahr schätzen Pariser Medien auf 12 Milliarden Euro – die Hälfte sind französische Exporte.

Die Krise schwelt seit Dezember. Die Reaktion der Türkei auf das Gesetz fiel entsprechend aus: Ankara suspendierte jegliche militärische Kooperation mit dem Nato-Partner Frankreich, holte vorübergehend seinen Botschafter zurück und sagte alle bilateralen Besuch ab. Nun sind weitere Strafmaßnahmen angedroht worden. Pariser Medien verweisen auf Frankreichs staatliche Souveränität und stellen offen die Frage, ob Ankaras Drohungen dem erhofften EU-Beitritt der Türkei förderlich sein könnten. „Frankreich wird verlieren, und auch die Türkei wird verlieren“, erklärte diplomatisch der türkische Botschaftssprecher Engin Solakoglu auf eine entsprechende Frage im französischen Nachrichtensender BFM. Er machte aber auch klar, dass es mit dem türkischen Selbstverständnis unvereinbar sei, wenn andere Staaten Gesetze über die türkische Geschichte erließen. Die Türkei sieht in dem französischen Genozid-Gesetz in erster Linie ein wahltaktisch motiviertes Manöver von Präsident Nicolas Sarkozy, das auf die zahlreichen armenischstämmige Wähler in Frankreich zielt.

Mit Material von dpa/dapd