In Brüssel stehen Berlin und Paris anscheinend unversöhnlich gegen London. Auch ein Dreiertreffen entspannt die Lage nicht.

Brüssel. Die große Lösung zur Euro-Rettung droht zu scheitern. Beim EU-Gipfel in Brüssel schien eine Einigung aller 27 Mitgliedsstaaten nach einem Dreiertreffen Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens am Donnerstagabend unwahrscheinlich: Premier David Cameron äußerte weitreichende Forderungen zum Schutz der britischen Finanzwirtschaft, auf die sich Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy nicht einließen.

"Merkozy" hatte vor dem Gipfel gedroht, notfalls nur mit den 17 Eurostaaten eine neue vertragliche Grundlage zu schaffen. Merkel forderte eine Sitzung der Euroländer.

Bei ihrem Streben nach einer weitreichenden EU-Reform, die die Staaten zu strikter Haushaltsdisziplin zwingt, schlug Berlin und Paris heftiger Gegenwind nicht nur aus Großbritannien entgegen: Auch Schweden schlug sich auf die Seite der Skeptiker. Die EU-Spitze beharrt auf ihrer Kritik, die erforderliche Änderung der EU-Verträge sei zu langwierig und angesichts der nötigen Ratifizierung durch nationale Parlamente zu riskant.

Sarkozy warnte bereits vor Gipfelbeginn vor einer Spaltung: „Das Risiko, dass Europa auseinanderbricht, war noch nie so groß.“ Merkel verlangte bei dem Spitzentreffen einen „bedeutenden Schritt in Richtung einer Stabilitätsunion, der Fiskalunion.“

Britischer Premier will Gegenleistungen

Cameron forderte Diplomatenberichten zufolge als Gegenleistung für eine Änderung des EU-Vertrags eine Einstimmigkeitsregelung bei der Finanzmarktregulierung. In Fragen des gemeinsamen europäischen Binnenmarkts pochte er demnach zudem auf ein Vetorecht – ebenfalls vergeblich.

Deutschland und Frankreich drängen dagegen auf eine umfassende Änderung der EU-Verträge, um Defizitländern Grenzen für die Aufnahme von Schulden zu setzen. Dafür wollen sie automatische Sanktionen für Schuldensünder bei überbordenden Haushaltsdefiziten sowie strenge Schuldenbremsen festschreiben. Diese soll der Europäische Gerichtshof (EuGH) überprüfen können.

Auch der schwedische Premierminister Fredrik Reinfeld stellte sich dagegen: „Ich habe keine Rückendeckung in Schweden dafür.“

EU-Gipfelchef Herman Van Rompuy sah das deutsch-französische Streben ebenfalls weiter skeptisch. Er hat als ersten Kompromissschritt eine Mini-Änderung des Vertrages vorgeschlagen, die rasch umgesetzt werden könnte: eine Änderung von Protokoll 12, die keiner Ratifizierung bedürfte. Nach Angaben eines Diplomaten stehen viele Mitgliedstaaten dahinter, auch Großbritannien. Deutsche Regierungskreise dagegen hatten das als „typische Brüsseler Trickkiste“ verworfen.

Sarkozy mahnte: „Die Zeit arbeitet gegen uns.“ Für Entscheidungen blieben nur noch einige Wochen. Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker sagte, notfalls müssten die 17 Euro-Länder alleine eine Lösung finden: „Ich wünschte mir eine Vertragsabänderung mit 27 EU-Staaten, falls das nicht machbar ist, dann eben mit 17.“ Auch Kanzlerin Merkel räumte ein, es müsse sich noch zeigen, ob „das 17 plus X oder alle 27 Länder gemeinsam machen“. Ein solches Vorgehen mit zwei Geschwindigkeiten bedroht jedoch nach Ansicht von EU-Diplomaten den Zusammenhalt der gesamten Union.

Dabei haben die Finanzmärkte nach anderthalb Jahren unbewältigter Schuldenkrise längst große Euroländer wie Italien und Spanien ins Visier genommen. Diese müssen immer höhere Zinsen für Geld an den Kapitalmärkten zahlen.

Die Welt in Sorge um Europa

Die ganze Welt schaut deshalb voller Sorge auf Europa. US-Präsident Barack Obama schaltete sich aus Washington ein und drängte die Europäer zum Handeln: „Ich glaube, sie sehen jetzt die Dringlichkeit ein, etwas Ernstes und Kühnes zu tun.“

Bereits unmittelbar vor Gipfelbeginn hatten Merkel und Sarkozy in der sogenannten Frankfurter Runde mit den Spitzen von Eurogruppe, Europäischem Rat, EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) beraten.

Zur Rettung des Euro ziehen Europas Währungshüter derweil fast alle Register. Die EZB senkte ihren Leitzins um einen Viertel-Prozentpunkt auf 1,00 Prozent, um die krisengeschüttelte Wirtschaft zu stützen. Geschäftsbanken sollen sich zudem bei ihr künftig für einen extrem langen Zeitraum von drei Jahren Geld leihen können.

Ferner wollen die Europäer Diplomaten zufolge etwa 200 Milliarden Euro an den IWF geben, um mit der Aufstockung Programme für europäische Krisenländer zu finanzieren, wie es in Brüssel vor dem Gipfel hieß. Das Geld müsste aber von den Notenbanken kommen, über die die Politiker eigentlich nicht entscheiden können. Ein Sprecher der Bundesregierung widersprach: Es gebe darüber keine Einigung, ein solcher Plan stehe auf dem Gipfel auch nicht zur Entscheidung an. (dpa)

Der Gipfel im Ticker:

19.56 Uhr: Schweden lehnt die diskutierte Änderung der EU-Verträge ab, mit der die EU-Staaten zu mehr Haushaltsdisziplin gezwungen werden sollen. „Ich habe dafür in Schweden keine Unterstützung“, sagte Regierungschef Fredrik Reinfeldt vor Beginn des EU-Gipfels. Schweden gehört nicht zum Kreis der 17 Länder mit Eurowährung. „Ich möchte klarmachen, dass Vertragsänderungen nicht alles sind“, sagte Reinfeldt.

19.14 Uhr: Das Nicht-Euro-Land Dänemark will die von Berlin und Paris geforderten Vertragsänderungen unterstützen. „Wenn die Eurozone dies als Teil der Lösung sieht, sind wir für Vertragsänderungen offen“, sagte Regierungschefin Helle Thorning-Schmidt kurz vor Beginn des EU-Gipfels am Donnerstagabend in Brüssel. „Sehr wichtig für uns ist aber auch, dass wir die 27 EU-Mitglieder zusammenhalten. Das hat auch in anderen Krisen geklappt“, sagte Thorning-Schmidt. Deswegen müssten alle Seiten Kompromissbereitschaft zeigen.

18.56 Uhr: London erkennt die Notwendigkeit zu Vertragsänderungen zur Rettung des Euros an. „Wir müssen offenkundig diese Stabilität in der Eurozone hinbekommen, das ist gut für alle EU-Länder, auch für Großbritannien“, sagte Premierminister David Cameron kurz vor dem Auftakt des EU-Gipfels in Brüssel. Zugleich müssten die britischen Interessen geschützt werden, fügte er hinzu

18.53 Uhr: Kurz vor dem Auftakt des EU-Gipfelshat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) für die möglichen Vertragsänderungen geworben. „Der Euro hat an Glaubwürdigkeit verloren, und diese Glaubwürdigkeit muss wieder hergestellt werden“, sagte sie. Dafür müssten die Verträge so geändert werden, „dass wir uns in Richtung einer Stabilitätsunion entwickeln“. Damit das gelingt sollten die 17 Eurostaaten dafür mehr Verbindlichkeit akzeptieren, die Kommission und der Europäische Gerichtshof mehr Verantwortung bekommen.

18.05 Uhr: Im Vorfeld des EU-Gipfels hat die deutsche Gipfelrhetorik bei den europäischen Partnern für Befremden gesorgt. Äußerungen eines hohen Regierungsbeamten, in denen unter anderem von der „typische Brüsseler Trickkiste“ die Rede war, hätten „für Verstimmungen“ gesorgt, hieß es am Donnerstag kurz vor Beginn des Gipfels.

17.38 Uhr: Jean-Claude Juncker, Vorsitzender der Eurogruppe, befürwortet angesichts der Schuldenkrise notfalls eine Änderung der EU-Verträge im Kreise der 17 Eurostaaten: „Ich wünschte mir eine Vertragsabänderung mit 27 EU-Staaten, falls das nicht machbar ist, dann eben mit 17." Ein Vorgehen im kleinen Kreis sei nötig, wenn nicht alle 27 „in die gewünschte Richtung mitmarschieren“ könnten, so Luxemburgs Premier.

17.06 Uhr: Ungeachtet scharfer deutscher Kritik will EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy beim Gipfeltreffen seine Reformpläne für die Eurozone verteidigen. Der Belgier verfolge weiter das Vorhaben, eine Protokollerklärung im EU-Vertrag einstimmig ändern zu lassen und damit rasch die Haushaltsaufsicht in der Eurozone zu verschärfen.

16.27 Uhr: Kurz vor Beginn des EU-Gipfels in Brüssel hat der estnische Ministerpräsident Andrus Ansip seine Unterstützung für eine Änderung der EU-Verträge zugesagt. Die Vorschläge seien aus estnischer Sicht sinnvoll und größtenteils akzeptabel, so Ansip. „Wenn die Normen des Stabilitäts-und Wachstumspaktes nicht eingehalten werden, ist es notwendig, die Normen zu ändern. Und wenn man dafür die zugrunde liegenden Verträge ändern muss, dann sollten wir es tun“, sagte Ansip

16.25 Uhr: „Wenn wir am Freitag keine Einigung finden, gibt es keine zweite Chance“: Mit diesem dramatischen Appell hat der französische Staatschef Nicolas Sarkozy den Ton für den zweitägigen EU-Gipfel bestimmt. Auf deutsch-französischen Druck soll in Brüssel eine Vertragsänderung eingeleitet werden, die automatische Sanktionen gegen Defizitsünder und Schuldenbremsen einführt.

15.55 Uhr: Kurz vor dem Brüsseler EU-Gipfel hat sich Großbritanniens Premier David Cameron mit Kanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy, Italiens Regierungschef Mario Monti sowie EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso in Marseille getroffen. Dort verdeutlichte Cameron, er werde einer Lösung zur Rettung des Euros nur zustimmen, wenn dabei die Interessen der britischen Finanzindustrie nicht zu kurz kommen.

15.27 Uhr: Rückendeckung von den katholischen Entwicklungshilfeorganisationen für Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy. Die Ziele der beiden Politiker zur Finanzmarktregulierung, zu gemeinsamen Grundlagen für Unternehmenssteuern und zur Finanztransaktionssteuer seien entscheidend für eine Gesundung der Wirtschaft, erklärte der Dachverband CIDSE.

+++Berlin erteilt Spekulationen eine Absage+++
+++ Doppelter Rettungsschirm für die Euro-Zone? +++

14.49 Uhr: Im Ringen um Vertragsänderungen hat der luxemburgische Ministerpräsident Jean-Claude Juncker Druck auf Großbritannien gemacht. Er werde es nicht akzeptieren, dass sich London Rechte und Freiheiten etwa für seinen Finanzsektor garantieren lasse, die für die anderen nicht gelten sollen

14.28 Uhr: Die USA erwarten vom Gipfeltreffen der europäischen Staats- und Regierungschefs klare Beschlüsse für einen Weg aus der Schuldenkrise. Die USA hätten „großes Vertrauen“, dass Europa den Weg aus der Krise finde, erklärte US-Außenministerin Hillary Clinton am Donnerstag am Rande eines NATO-Außenministertreffens in Brüssel. „Aber wir brauchen einen Plan, hinter dem wir uns versammeln können.“

13.05 Uhr: Die Euroländer wollen den Internationalen Währungsfonds laut Diplomatenangaben um 150 Milliarden Euro aufstocken, damit sich der IWF stärker an der Rettung von Schuldenstaaten engagieren kann. Eine Einigung darauf auf dem EU-Gipfel sei wahrscheinlich, sagte der Diplomat eines kleineren Euro-Staates am Donnerstag. Ein Teil der Summe wurde bereits vor zwei Jahren zugesagt, aber noch nicht überwiesen. Bei dem Geld handelt es sich nicht um Kredite aus den nationalen Haushalten, sondern um Geld der Notenbanken. Es gebe die Hoffnung, dass die zehn Nicht-Euro-Länder den IWF zusätzlich um 50 Milliarden Euro stärkten, sagte der Diplomat.

12.48 Uhr: Bayerns Wirtschaftsminister Martin Zeil (FDP) hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) dazu aufgerufen, beim EU-Gipfel dem „hohen internationalen Druck“ standzuhalten und sich auf „keine faulen Kompromisse“ einzulassen. „Es ist richtig und wichtig, dass wir zügig die europäischen Verträge ändern, um effizientere Sanktionsmöglichkeiten gegen Haushalts- und Defizitsünder zu bekommen“, teilte Zeil am Donnerstag in München mit. „Wir dürfen uns jedoch auf keinen Fall auf ein Gegengeschäft einlassen, das die Fundamente unserer Währung beschädigt.“

12.10 Uhr: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und andere europäische Spitzenpolitiker sind am Donnerstag in Marseille eingetroffen, um letzte Gespräche vor dem EU-Gipfel in Brüssel zu führen. In der südfranzösischen Hafenstadt findet ein Kongress der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) statt. Daran nehmen auch Frankreichs Präsident Nicholas Sarkozy und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso teil.

11.47 Uhr: Der britische Premierminister David Cameron bekommt den Druck von zwei Parteiflügeln der Konservativen zu spüren. Angesichts des EU-Gipfels in Brüssel geben viele Konservative der schnellen und effektiven Lösung der Krise der Eurozone den Vorrang. Eine andere Fraktion innerhalb der eher euroskeptischen Partei verlangt vom Regierungschef, er solle die Gunst der Stunde nutzen, um Vorteile für Großbritannien innerhalb der Europäischen Union auszuhandeln. Der britische Abgeordnete Bernard Jenkin sagte am Donnerstag, Cameron sei nun in einer Position, ein Referendum abzuhalten, damit die britischen Bürger über die Beziehung zur Union abstimmen können.

(abendblatt.de/dpa/Reuters/dapd)